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Pekinger BuchmesseChill-out mit Gutenberg

1,3 Millionen Käufer können nicht lügen: Deutschland ist Ehrengast bei der 14. Buchmesse in Peking. Auch der deutsche Literaturbetrieb traf sich dort - Kontaktpflege für den Boommarkt.

Interessante Langnasen: Chinesen umringen den Stand der Deutschen und ihre Nachbildung des Gutenberg'schen Buchdruckes auf der Pekinger Messe. Bild: dpa

Auf der Dachterrasse durchschneiden blaue Punktstrahler die Smogglocke des nächtlichen Pekinger Himmels. Fledermäuse verirren sich in die Lichtkegel, und in den umstehenden Wolkenkratzern kann man die erleuchteten Fenster an einer Hand abzählen. Es ist der Moment, in dem die 18-Millionen-Einwohner-Metropole kurz zur Ruhe kommt. Schon in ein paar Stunden werden die ersten Pekinger wieder ihre morgendlichen Taichi-Übungen in den Parks beginnen.

An diesem frühen Sonntagmorgen ist ins Pekinger Edelrestaurant im Schatten des Arbeiterstadiums Stille eingekehrt - obwohl hier doch eine richtige deutsche lange Nacht stattfindet, weil Deutschland Ehrengast bei der 14. Pekinger Buchmesse ist. Nur vom Dach schallt noch Lachen und angeregtes Geplauder. Dass Angela Merkel während ihres Pekingbesuchs die Deutschlandschau links liegen hat lassen, ist schon fast vergessen. Es herrscht Chill-out-Atmosphäre vor dem letzten Messetag, die Krawatten sind abgelegt - auch beim deutschen Kulturattaché. Die Manschettenärmel sind endgültig aufgekrempelt - auch beim Chef der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos, und das Tsingtao-Bier wird aus der Flasche getrunken. Viele der chinesischen "Freunde", die man in den letzten Tagen gemacht hat, sind zwar nicht mehr da, trotzdem gibt es viele gegenseitige Glückwunsche für den deutschen Auftritt auf der Buchmesse. Die ganz große Leidenschaft hat man zwar nicht erreicht, wohl auch nicht erwartet. Aber man ist sich einig, Neugier geweckt zu haben.

Man darf sich die deutsche Delegation ruhig so vorstellen wie eine Nationalmannschaft plus großem Gefolge von Betreuern, die vor nicht ganz einer Woche parallel zur Maschine der Kanzlerin aus der deutschen Buchstadt Frankfurt am Main nach China abgeflogen ist: Autoren, Illustratoren, Künstler, Verleger, Agenten, Kritiker - und ein Kölner Karnevalspaar. In kleinen Gruppen saßen sie schon im Flugzeug, als großer Kreis bevölkerten sie in den vergangenen vier Tagen den deutschen Stand auf der Buchmesse: 1.000 Quadratmeter Fläche, sauber, hell, transparent, mit Sitzlandschaften, zum Blättern einladenden Büchertischen und einer Malinsel für Kinder. Nicht als Ware soll die Literatur, sondern vor allem als Lektüre ohne Eselsohren sollen deutsche Bücher hier präsentiert werden - und damit gelingt es den Veranstaltern, einen Kontrapunkt in die sonst zwar so chinesisch bunte, aber doch nur am Fachpublikum orientierte Präsentation von Chinas Verlagen zu setzen.

Chinesinnen entdecken den deutschen Frühling: Buchmesse in Peking. Bild: dpa

Die deutsche Abteilung im ersten Stock der großen Messehalle ist der Besuchermagnet auf der Bücherschau, die inzwischen zur viertgrößten Buchmesse der Welt aufgestiegen ist - und sie ist auch eine Blaupause für die chinesischen Verlage, die sich 2009 auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren werden, das erste Mal in einem Land ohne gut kontrollierte Öffentlichkeit. Chinesen umringen die alte Gutenberg-Presse, wo ein Mann in mittelalterlicher Tracht die deutschen Ursprünge des Buchdrucks vorführt. Sie johlen vor einem Glücksrad beim Stand des Goethe-Instituts. Sie schmunzeln über die Grafiken der in Berlin lebenden Künstlerin Liu Yang, die in Piktogrammen deutsche und chinesische Mentalität gegenüberstellt. Sie beklatschen höflich die Tanzeinlage der Faschingsprinzessin, und sie drücken sich fast die Nasen platt an den Fenstern der Textbox von Bas Böttcher und Timo Brunke, ein schwarzer, schalldichter Kubus, in dem SchriftstellerInnen die ganze Messe über stehen und lesen, aber nur gehört werden, wenn man einen der 20 Kopfhörer aufsetzt. Auf Monitoren flimmern dazu die chinesischen Untertitel. Sie umringen AutorInnen wie Tanja Dückers, Jakob Hein, Judith Hermann, Christoph Peters, um sich deren chinesischen Übersetzungen signieren zu lassen.

Es geht hier nicht so sehr darum, das Herz der chinesischen Verlage zu erobern, wichtiger ist das der chinesischen Leser. Denn wie immer winken im Reich der Mitte traumhafte Rekordmarken. "Wenn es nur gelänge, jedem tausendsten Einwohner Chinas ein Buch zu verkaufen, dann hätte ich eine Auflage von 1,3 Millionen Exemplaren. Von einem Buch!", rechnet der deutsche Buchmessen-Chef Boos vor. Noch ist dieses Ziel aber so schemenhaft wie der Mond im Dunst der Pekinger Nacht. Zwar ist China Lizenzeinkäufer Nummer sechs in Deutschland, 366 Bücher wurden im vergangenen Jahr ins Chinesische übersetzt, doch, so hört man oft, Fernost sei noch sehr einseitig an Bestsellern interessiert, kontinuierliche Zusammenarbeit entwickle sich nur langsam.

Das erklärt sich auch mit der chinesische Verlagslandschaft; obwohl seit Jahren im Umbruch und im Wachsen, entspricht sie kaum der Struktur im Westen. 576 offizielle Verlage gibt es in der Volksrepublik - zum Vergleich: Der deutsche Börsenverein zählt über 1.800 Verlage als Mitglieder -, sie sind die Ansprechpartner für das Ausland. Zwar hat China inzwischen eine blühende Landschaft an Privatverlagen, schätzungsweise über 5.000, doch sie werden höchstens geduldet und müssen unter dem Deckmantel arbeiten und treten als "Kulturagenturen" auf, erzählt Jing Bartz vom Buchinformationszentrum in Peking. Die staatliche Kontrolle ist dennoch sicher. Denn um ISBN-Nummer zu bekommen, müssen die kleinen mit den offiziellen Verlagen zusammenarbeiten. Der Buchvertrieb ist in China noch immer vollständig in staatlicher Hand.

Doch vom Dach des Jasmine-Restaurants aus besehen sind auch das alles noch zu meisternde Unbillen. Auch dass chinesische Autoren in Deutschland noch viel weniger Leser finden als umgekehrt. Die Vorstellung ist doch gelungen. Mal sehen, ob die Chinesen nun kopieren, auf der Buchmesse in Frankfurt in zwei Jahren.

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