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Archiv-Artikel

Peinliche Weißkittel KOMMENTAR VON ULRIKE WINKELMANN

Die Proteste der Krankenhausärzte gegen miserable Arbeitsumstände kamen in der Öffentlichkeit prima an. Das haben auch die niedergelassenen Ärzte gemerkt und beschlossen, nun ihrerseits dem breiten Publikum ihren Wunsch nach mehr Einkommen anzuvertrauen. Doch gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Ärztegruppen. Krankenhausärzte sind Angestellte, niedergelassene Ärzte dagegen freie Unternehmer. Und die Niedergelassenen pflegen dieses Selbstverständnis auch fleißig – wenn sie nicht gerade mehr Geld wollen. Dann mutieren sie zu Lohnsklaven von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Ermöglicht wird diese Identitätsverdoppelung durch ein System, das gleichzeitig Markt- und Planwirtschaft ist. Ärzte investieren in eine Praxis, stellen Helferinnen an und beanspruchen Einkommen, mit denen sie ihr Unternehmerrisiko gedeckt sehen. Sie gehen dahin, wo die Privatpatienten und das Geld sitzen, in die Gutverdienerviertel. Von den Kassenärztlichen Vereinigungen werden sie mit Tipps zur Gewinnmaximierung versorgt.

Doch weil das öffentliche Gesundheitssystem – die Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten – nicht mehr alles bezahlen kann, gibt es Budgets. Der Gesamtkuchen wächst dennoch jedes Jahr – auf zuletzt 23 Milliarden Euro für 120.000 Niedergelassene. Für die Verteilung sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig. Damit niemand außer ihnen das Vergütungssystem kapiert, verkomplizieren sie es stetig.

Ab und zu versucht die Politik einzugreifen, etwa wenn sie Geld von den Fach- zu den Hausärzten umschichtet oder um Qualitätskontrollen bittet. Oder wenn sie die Pharmaindustrie mit ihren Geschenken aus den Praxen zu vertreiben versucht. Oder zur Verschreibung günstigerer Pillen drängt. Arm wird dadurch niemand.

Mit ihren Protesten missbrauchen die niedergelassenen Ärzte die Solidarität der gesetzlich Versicherten, die selbst schon immer viel weniger verdienten, seit Jahren viel größeren Arbeitsplatzrisiken ausgesetzt sind und viel größere Einkommensverluste hinnehmen als irgendein Arzt. Die Aktionen und Forderungen der niedergelassenen Ärzte sind politisch und sachlich so unhaltbar wie peinlich.