Patti-Smith-Konzert in Frankfurt: Raus aus der Piss Factory

Am Montagabend spielte Patti Smith in der Frankfurter Jahrhunderthalle. Es war ihr einziges Konzert in Deutschland, und es hatte mächtig Hippieschlagseite.

Tibetfahne und libanesische Zeder gehören zum Showprogramm, Kämme nicht. Bild: dpa

Mit bloßen Händen Gitarrensaiten zerreißen und sich in eine Tibetfahne wickeln, das geht eigentlich nicht zusammen. Sich outside of society zu verorten, als RocknRoll Nigger, und den Erniedrigten, Beleidigten, Benachteiligten, Tibetern, Teheranern und anderen Problemfällen des Universums eine Bergpredigt widmen, mit weit ausgebreiteten Armen, das geht eigentlich nicht zusammen. Es geht nicht zusammen, weshalb die 80 Prozent des Konzertes, die aus Kirchentag & Dalai Obamalama bestehen, auch dann schwer zu ertragen sind, wenn man Patti Smith zugesteht, dass sie sich an der Unvereinbarkeit von großer (Punk-)Distinktionsgeste und großer (Hippie-)Vergesellschaftungsmission schon abgearbeitet hat, als Bono noch nicht Oma sagen konnte.

Dass zum einzigen Deutschlandkonzert in der Frankfurter Jahrhunderthalle vor allem Menschen angereist sind, die höchstens zwei, drei Konzerte pro Jahr sehen, für die das also ein Höhepunkt in der Lebensplanung ist, dass solche Höhepunkte in großen Hallen stattfinden müssen, dass sich hier Menschen versammeln, die das jugendlich widerspruchsfreie Acting Out von Smith-Songs auf die alten Tage noch mal re-en-acten wollen, all das liegt in der Logik des Groß-Memorials.

Zum Memorial gehört das Testimonial, und das Einschwören von Leuten, die Zeugnis ablegen für irgendwas, das beherrscht Patti Smith. So vergeht die erste Stunde wie der Karfreitag in der katholischen Kirche. Im festen Glauben, Gutes zu tun, quält man sich durch eine Meditation über Hendrix "Are you experienced", und Patti Smith wäre nicht Patti Smith, würde sie dieser Frage nicht die eine oder andere metaphysische Komponente abgewinnen.

Nach der Tibetfahne kommt die libanesische Zeder dran, die hat Jay Dee Daugherty um seine Bassdrum gewickelt. Alleine zur akustischen Gitarre berichtet Patti Smith von ihrem Besuch im Goethe-Haus, wo ihr der Geist des großen Dichters begegnet ist. Auch dem Mond wird ein Lied gewidmet, es ist Mondlandungsjubiläum. Es folgt ein Song für die Kinder von Palästina: "Eure Tränen waren nicht umsonst." Tapfer absolvieren die Smithianer das Fürbitten-Programm, aber so richtig los gehts erst mit "Dancing barefoot". Wie auf Kommando tanzen alle barfuß los, auch wenn die meisten die Schuhe anbehalten. Mit dem Barfußtanzlied, das auch U2 mal gecovert haben, wird Pattis Hippieschlagseite übermächtig. "We shall live again" ist auch nicht besser als "We shall overcome" und "We are the world". Songs, die mit "We" anfangen, ist generell zu misstrauen. "Because The Night", der mit Springsteen geschriebene Stadionrocker, rockt die Halle ordnungsgemäß durch, und das wars. Aber dann geht plötzlich ein Ruck durch den Körper von Patti Smith.

Eben winkt sie noch linkisch lächelnd ins Publikum, jetzt reckt sie den Kopf, senkt die Mundwinkel zu maximaler Weltverachtung und verkündet zum fünfmillionstenmal: Jesus starb für die Sünden von irgendwem, aber nicht für meine. Gloria glüht. Die Band erwacht aus dem direstraitshaften Trott, der spindeldürre Lenny Kaye steht plötzlich unter Strom, und selbst der heimliche Star der Show entwickelt so was wie Drive. Den ganzen Abend über hatte Tom Verlaine am hinteren Bühnenrand auf einem Hocker gesessen. Das jungenhafte Gesicht auf dem schwerer gewordenen Körper wie von Medikamenten sediert hatte er sich stoisch seiner Arbeit gewidmet: Die Rockroutine der Smith-Band mit einem gitarristischen Arsenal aus Störgeräuschen, Ornamenten und anderen Verlainismen zu - doch, das Wort muss hier her - transzendieren. In diesen Gitarrenfingern wohnt der Geist von John Zorn und der von Jerry Garcia, in den besten Momenten versöhnt Verlaines Gitarrenspiel die Antagonismen von Punk und Hippie und das Ganze bekommt einen gläsernen, schwebenden Glanz. Wie einst bei Television, Verlaines Band in New York 77.

Mit dem finalen "RocknRoll Nigger" schweben sie dann wie Grateful Dead auf Speed, Smiths rausgespucktes outside of society ist wieder Glücksversprechen, raus aus diesem Büro, raus aus dieser Piss Factory. Dann geht das Licht an und Smith gibt ihrer Multitude der Besserverdienenden noch ein paar warme Worte mit auf den Weg: Glaubt an euch! Benutzt eure Stimme! Mischt euch ein! Tom Verlaine ist da schon hinter der Bühne.

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