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Archiv-Artikel

Patinnen. Paare

Wie lässt sich über Musikerinnen forschen, die im „Dritten Reich“ verfolgt wurden und nur spärliche Zeugnisse hinterlassen haben? Engagierte Berufskolleginnen machen sich auf die Suche nach den Vergessenen

von WALTRAUD SCHWAB

Echolos – ein Klang ohne Widerhall? „Für eine Musikerin ist so ein Gedanke eine Provokation“, sagt Inge Hansen-Schaberg. Sie ist die jetzige Leiterin der Arbeitsgruppe „Frauen im Exil“ in der Deutschen Exilgesellschaft, die sich auf ihrer jüngsten Jahrestagung in Bielefeld vor allem mit den durch die Nazis verfolgten Komponistinnen auseinander setzte.

„Echolos?“ lautete deren programmatischer Titel. Er wurde nicht ohne Absicht gewählt. Denn anders als Literatur oder Kunst gehorcht Musik einem Zeitfaktor. Und: Sie ist auf jemanden angewiesen, der sie zur Aufführung bringt, sie interpretiert. „Das Werk von verfolgten Musikschaffenden zu rekonstruieren“, meint Hansen-Schaberg, „ist ausgesprochen schwierig. Denn Notationen oder Einspielungen sind nur in den seltensten Fällen überliefert.“

Trotzdem: Hunderte Namen von Musikerinnen, deren Lebensweg durch Faschismus und Krieg unterbrochen wurde, sind im Archiv des Orpheus Trusts in Wien, dem Sophie Drinker Institut in Bremen, dem Archiv Frau und Musik in Frankfurt und der Datenbank der Arbeitsgruppe Exilmusik am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg zusammengetragen und so für weitere Forschungen zugänglich gemacht worden.

Oft entscheidet der Zufall, ob mehr als nur der Name bekannt ist: Briefe auf einem Dachboden, eine Begegnung, ein Hörensagen geben der Unbekannten Kontur. Das allein jedoch reicht nicht, um ein Werk zu rekonstruieren. Meist wird die Vergessene erst dann dem Vergessen entrissen, wenn sich einzelne Wissenschaftlerinnen oder Künstlerinnen einer von ihnen annehmen, sie neu entdecken, sich für die Unbekannte einsetzen. Mitunter wird daraus eine jahrelange Passion. Die Abwesende bekommt ein Gesicht, eine Geschichte, manchmal wird sie zu einer verlorenen Freundin, mitunter wird sie auch idealisiert. Die Rolle der Sorgenden ist bei diesen Wahlverwandtschaften umgedreht: Die Jüngeren werden zu Patinnen der Älteren. Es sind Paare mit Eigen-Sinn.