Parlamentswahl in Lettland: Regierung auf ein Drittel geschrumpft
Drei neue Parteien schaffen es, auf Anhieb insgesamt 40 Prozent der Stimmen zu gewinnen. Wie eine Regierung aussehen könnte, ist völlig offen.
Bei der Parlamentswahl am Samstag haben die lettischen WählerInnen die Zusammensetzung des Parlaments kräftig durcheinandergeworfen. Von den drei Parteien, die das Land bislang regiert haben, sind nun nur noch zwei übrig, von 58 schrumpften sie auf 21 Prozent der Stimmen. Stärkste Partei wurde mit 20 Prozent wieder die sozialdemokratische „Harmonie“, die allerdings auch drei Prozentpunkte verlor. Auf den Rängen zwei bis vier platzierten sich Parteien, die bislang nicht im Parlament vertreten waren. Eine schwierige Regierungsbildung wird erwartet.
In der Saeima gibt es statt bislang sechs nun sieben Parteien und Wahlbündnisse. Der erfolgreichste Neukömmling fällt dabei selbst angesichts der in Lettland sowieso oft recht fantasievollen Parteibezeichnungen schon beim Namen deutlich aus dem Rahmen: „Wem gehört das Land?“. Gegründet von dem ehemaligen Schauspieler und Radiomoderator Artuss Kaimins hat die Partei mit einer an Donald Trump orientierten Anti-Establishment-Rhetorik punkten können. Aus dem Stand schaffte sie es damit auf 14 Prozent und wurde zweitstärkste Partei.
Ihre WählerInnen hat offenbar das Fehlen eines eigentliches Programm nicht gestört. „Wem gehört das Land?“ klagt vor allem die „Machtpolitiker“ der anderen Parteien an, diese seien „überhaupt nicht bereit, über die wirklich bedeutenden Probleme unseres Landes zu sprechen und schon gar nicht über deren wirkliche Lösungen“ und verspricht einen radikalen Wandel. Im Juni war Kaimins von der Antikorruptionsbehörde unter dem Vorwurf illegaler Parteienfinanzierung vorübergehend festgenommen worden. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Geschadet hat es ihm offensichtlich nicht. Seine Popularität wurde eher noch gesteigert, weil er sich nun als Behördenopfer darstellen kann.
Obwohl der Wahlkampf sich vorwiegend um soziale, also für jeden „hautnahe“ Themen drehte, wie die Einführung einer Mindestrente oder die überfällige Reform der Gesundheitsvorsorge, sank die Wahlbeteiligung erneut um 4 Prozent. Nur 54,5 Prozent der rund 1,5 Millionen Wahlberichtigten gingen zu den Urnen. Der niedrigste Wert seit der Unabhängigkeit des Landes. Wohl auch ein deutlicher Ausdruck dafür, dass das Vertrauen in die PolitikerInnen ausgesprochen niedrig ist. Nach den letzten OECD-Zahlen haben nur 32 Prozent der LettInnen Vertrauen in ihre Regierung.
Wie wird es nach der Wahl weitergehen in Riga? Noch in der Wahlnacht gab der bisherige Ministerpräsident Maris Kucinskis seiner Erwartung Ausdruck, es werde möglich sein, eine neue Mitte-Rechts Koalition zu bilden. Bisher stand er einer Dreiparteienkoalition aus seiner nationalkonservativen „Union der Bauern und Grünen“, der „Nationalen Allianz“ (NA), einer Art lettischer AfD und der liberal-konservativen „Einheit“ – Schwesterpartei der CDU – vor. Letztere, 2014 noch zweitstärkste Partei hat sich ganz aufgelöst, die Nachfolgepartei „Neue Einheit“ ist mit 6,7 Prozent nun kleinste Parlamentspartei. Zusammen kommen die drei Parteien nur auf 32 Mandate.
Kucinski wird wohl nicht Ministerpräsident
Man bräuchte weitere Koalitionspartner, um eine Mehrheit in der Saeima mit ihren hundert Sitzen zu erhalten. Anbieten würde sich die der NA nahestehende „Neue konservative Partei“, die ihren Stimmenanteil von 0,7 aus 13,6 Prozent steigern konnte und drittstärkste Partei wurde und das liberale Wahlbündnis „Für Entwicklung/Für!“, das mit 12 Prozent auf Anhieb auf den vierten Platz kam. Zusammen kämen diese 5 Parteien auf 61 Sitze.
Kucinskis selbst dürfte eher wenig Chancen haben, im Amt bleiben zu können: Die „Union der Bauern und Grünen“ ist mit 10 statt 19,5 Prozent nun nicht mehr zweitgrößte, sondern zweitkleinste Partei. Auch die NA, die von 16,6 auf 11 Prozent abfiel, dürfte kaum Anspruch auf den Ministerpräsidentenposten haben.
„Wem gehört das Land?“ zeigte sich vor der Wahl nach allen Seiten offen und schloss auch eine Zusammenarbeit mit „den Sozialdemokraten nicht aus. Diese Mitte-Links-Partei, deren EU-Parlamentarier derselben Fraktion wie die EU-Abgeordneten der SPD angehört, die in Riga seit 9 Jahren den Oberbürgermeister stellt und dort eine in der Bevölkerung sehr geschätzte kommunale Sozialpolitik führt, wird von den übrigen Parteien auf nationaler Ebene bislang in der Oppositionsrolle isoliert.
Sie ist die hauptsächliche Vertreterin der russischen Minderheit im Lande. Eine WählerInnengruppe, die knapp 30 Prozent der Bevölkerung umfasst, um die sich aber auch nach mehr als einem Vierteljahrhundert der Selbständigkeit die übrigen Parteien kaum bemühen. „Harmonie“ wird von den Rechtsparteien und vielen Medien gerne als „fünfte Kolonne Moskaus“ diffamiert und gilt deshalb als nicht koalitionsfähig. Was sich vermutlich auch nach der jetzigen Wahl nicht ändern dürfte.
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