■ Pampuchs Tagebuch: Klicken gegen Hunger
Von amerikanischen FreundInnen bekommt man zumeist freitags Mails, da fahren sie ihren Bürocomputer runter und schicken an sämtliche ihrer buddies noch schnell Sammelmails, bevor sie ins Weekend gehen. Wer auf einer solchen Liste steht, erhält tiefe Einblicke ins amerikanische Wesen, kennt am Samstag die neuesten US-Witze und hat das befriedigende Gefühl, anerkanntes Mitglied der genussfähigen elektronischen global community zu sein.
Meine alte Freundin A. aus Boston hat mich letzte Woche mit einer Webadresse versorgt, die hiermit weiterzugeben mich allerdings mit wirklicher Befriedigung erfüllt. www.thehungersite.com ist ein Projekt, das in seiner Verbindung von Ingeniösität, edelhilfreichundgut und e-commerce derart amerikanisch gewitzt ist, dass man richtig ehrfürchtig werden kann.
Die Hungersite ist die oberpatente Antwort eines gewissen John Breen auf jenes Phänomen des kommerziellen Junkmail- „Spammings“, von dem ich letzthin berichtet habe. Die Hungerseite – sie existiert seit Juni 99 – zeigt, wie man aus einer Plage dialektisch klug einen Segen macht. Zentrale Idee dabei ist, dass nicht die Firmen die Kunden ungefragt mit ihrer elektronischen Werbung überschwemmen, sondern umgekehrt, die mögliche Kundschaft – am besten täglich – die Werbung von Firmen oder Organisationen anklickt. Warum aber sollte irgendjemand, der bei Trost ist, so etwas machen? Zum Beispiel, weil er – und das ist die geniale Idee – damit etwas Gutes tut. Und was ist edler in dieser Welt, als hungernden Kindern zu helfen?
Genau das aber kann man mit der Hungersite tun. Täglich und – man schämt sich fast (aber das ist vielleicht gewollt) – ohne einen Pfennig zu zahlen. Alles, was man tun muss, ist jeden Tag die Seite aufzurufen und den Knopf „Donate Free Food“ (Spende für eine Mahlzeit) anzuklicken. Damit hat man dann – je nach Menge der Sponsoren – zwischen einer und zwei Tassen Reis, Mais oder sonst eines Grundnahrungsmittels gespendet. Man erfährt, welche Firmen die Spende bezahlen, und kann dann – wenn man will – ihr Banner anklicken, um herauszubekommen, was sie neben dem Guten, das sie da gerade tun, sonst noch tun. (Es sind durchaus interessante Adressen dabei.)
Die Spenden gehen zu 100 Prozent direkt an das United Nations World Food Program und werden in 80 Ländern über eine Reihe von Hilfsorganisationen in Form von Nahrungsmitteln verteilt. Jeder Sponsor bezahlt 0,5 Cents pro angeklickter Spende, was etwa für eine Viertel Tasse reicht. Derzeit bewegt sich die Zahl der täglichen Klickspenden zwischen 70.000 und 90.000. Das heißt für die Sponsoren, dass sie zwischen 350 und 450 Dollar pro Tag, den sie übernehmen, zahlen. (Die Höchstgrenze liegt bei 750 Dollar.) Die Zahl der täglichen Sponsoren schwankte im September zwischen vier und sechs, was für etwa sieben Tonnen Lebensmittel pro Tag reichte.
Natürlich wird die Hungersite – bei etwa 24.000 Personen, die derzeit täglich in der Welt verhungern – nicht die vielen grundsätzlichen Probleme des globalen Elends lösen. Was sie aber leisten kann, ist, Werbung wenigstens etwas sinnvoller zu machen, die Macht der Verbraucher zu stärken und ein wenig Not zu lindern. Meinen ärmeren Freunden rate ich daher, zumindest täglich zu klicken, meinen (wenigen) reichen Freunden, den Millionären und Unternehmern, aber empfehle ich dringlich, ihre Produkte als Sponsoren auf der Hungersite anzupreisen. Und ich verspreche, wir alle lesen dann auch ihre Banner. Tut Gutes und redet drüber, so lass ich mir globalen e-commerce gefallen. Thomas Pampuch
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