■ Palästinensische Ängste angesichts der Deportation: Kein einmaliger Irrtum
„Ihr seid nicht einmal fähig, eine Deportation richtig durchzuführen!“ – warf Ariel Scharon, Oppositionssprecher in der Knesset und vor zehn Jahren jener Likud-Verteidigungsminister, der Israels Truppen während der Libanoninvasion in das bombenzerstörte Beirut führte, der Rabin-Regierung jetzt angesichts der internationalen Komplikationen vor. Schon vor Sabra und Schatila hatte Scharon reichlich Erfahrung im Praktizieren von Unmenschlichkeit. Und er weiß genau: „effektiveres“ Deportieren läßt sich lernen. Die Palästinenser in den besetzten Gebieten wie auch die Araber Israels fürchten genau dies: daß Rabin mit der Ausweisung der 415 einen Präzedenzfall geschaffen hat, der ihre Zukunft ernstlich gefährdet.
Ihre Erinnerungen an den palästinensischen Massenexodus (resp. die Massenvertreibungen) in den Kriegsjahren 1948, 1967 und danach bleiben traumatisch. Das palästinensische Flüchtlingsproblem, das bis zum heutigen Tag einer dringenden Lösung im Rahmen des politischen Verhandlungsprozesses harrt, wird nun weiter verschärft. Das ist die Sichtweise aller Palästinenser: eine erneute Bedrohung ihrer Existenz und der mögliche Beginn einer weiteren Vertreibung der bereits früher Vertriebenen.
Doch es geht nicht nur um Assoziationen des vergangenen Schreckens, sondern auch um die Realität der Gegenwart: rechtsextreme Parteien in Israel, die auch in der Knesset vertreten sind, betrachten die Vertreibung, den Bevölkerungstransfer als ihr Hauptziel. Wenn 415 Palästinenser, aufgrund eines Geheimbeschlusses der Regierung und gestützt auf die Notstandsverordnungen der britischen Mandatsmacht (1945), in einer Nacht-und-Nebel-Aktion vertrieben werden können, ist unter den Palästinensern niemand mehr sicher. Wie der palästinensische Schriftsteller und Israel-Preisträger Emile Habibi am Wochenende betonte, müsse daher daß die Deportation unbedingt rückgängig gemacht werden, bevor die Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis im Rahmen des Friedensprozesses wiederaufgenommen werden können.
Die Palästinenser in den besetzten Gebieten sind auch überzeugt davon, daß Rabins Deportationsbeschluß kein „einmaliger Irrtum“ oder eine zufällig-hysterische Überreaktion seitens der Regierung war. Sie glauben, daß es sich um den Teil eines Plans handelt, der darauf abzielt, sie in die Knie zu zwingen, damit ihnen Rabins nun bereits zwanzig Jahre altes Autonomiekonzept so gut wie bedingungslos aufgezwungen werden kann. Wer Widerstand leistet, dem droht Deportation. Amos Wollin, Tel Aviv
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