PUTINS GESPRÄCHE MIT HAMAS NUTZEN VOR ALLEM MOSKAU : Russische Realpolitik
Merkwürdig ist es schon. Im eigenen Hinterhof bekämpft Wladimir Putin die Islamisten mit gnadenloser Brutalität. Und ohne Rücksicht auf Verluste. Militärische und zivile. Tschetschenien, das Land der schwarzen Witwen. Andererseits hofiert der russische Präsident die palästinensischen Islamisten der Hamas mit einer Eilfertigkeit, die sich ohne Hintergedanken eben nicht erklären lässt.
Vielleicht ist die Botschaft ja schlicht. Die USA und Israel, ja der gesamte Westen, sollen begreifen, dass Russland wieder ein „global player“ ist, politische Prozesse im Nahen Osten ohne den Einfluss Moskaus zum Scheitern verurteilt sind. Verbündete in der islamischen Welt musste Putin bislang ja eher mit der Lupe suchen. Da kommen die Geächteten der Hamas gerade recht. Sie könnten für Putin als Türöffner gegenüber muslimisch-fundamentalistischen Regimen in der Region dienen.
Man kann Putins Schachzug freilich auch als russische Realpolitik betrachten. Schließlich hat Russland schon mit den palästinensischen Fedajin der Fatah Beziehungen unterhalten, bevor diese auf den Pfad der Diplomatie einschwenkten. Dazu passt, dass Russlands Haltung gegenüber dem Wahlsieg der Hamas sich in arabisch-islamischen Augen wohltuend von der einseitigen Ablehnung des Westens unterscheidet. Wenn Hamas Israel anerkennen und der Gewalt abschwören soll, ehe Gespräche in Frage kommen, warum soll Israel denn nicht – wenigstens prinzipiell – das Existenzrecht Palästinas als Staat und die völkerrechtliche Illegitimität der israelischen Siedlungen auf palästinensischem Boden anerkennen? Eine bloße Provokation? Vielleicht. Aber ohne Antwort auf diese Frage wird sich im Nahen Osten kein Stückchen Frieden etablieren lassen. Weder mit Hamas noch ohne die palästinensischen Islamisten.
Man kann die Hamas aus gutem Grund bekämpfen, politisch und militärisch. Aber man sollte sie nicht unterschätzen. Weder ihre taktische Variabilität noch ihre strategische Tiefe. Vielleicht hat der Kreml das längst verstanden. Und zu Recht eine andere Antwort gegenüber der Hamas zur Hand als der Westen. GEORG BALTISSEN