PRESSSCHLAG: DLV jagt Mister X
■ Ein großer Unbekannter führt das internationale Dopinkontrollsystem des Sports total ad absurdum
Der Freispruch im Doping-Prozeß um „Katrin Krabbe und ihre kleinen Freundinnen“ ('l‘equipe‘) hat ein geschäftiges Nachspiel: Alle suchen Mister X, einen Mann mit ganz erstaunlichen Fähigkeiten. Gegen Mister X ist James Bond eine glatte Doppelnull. Denn Mister X hat gottesgleiche Begabungen. Er ist unsichtbar, überall und allwissend. Doch anders als sein berühmtes Vorbild ist er äußerst bösartig. Er nämlich, so hält es Rauball und mit ihm der DLV-Rechtsausschuß für möglich, panschte den identischen Urin der Neubrandenburger Sprinterinnen.
Zu dieser Schandtat bedurfte es all seiner göttlichen Fähigkeiten: Zunächst wußte er sowohl Ort und Zeitpunkt der Tests als auch den genauen Transportweg in allen Details. Er kannte alle Medikamente, die die Sportlerinnen eingenommen und erst in Südafrika angegeben haben, und mixte sie in den Cocktail. Seine seherischen Fähigkeiten ermöglichten ihm, die codierten, namenlosen Fläschchen den drei Sprinterinnen zuzuordnen. Dann hat er das Siegel nachgemacht und den Zufall programmiert, daß Donike erstmals die Urinproben miteinander verglich.
Ein genialer, wenn auch umständlicher Plan. Doch der hatte ja zuvor in Zinnowitz auch geklappt, wo im nachhinein ebenfalls identische Proben festgestellt worden waren. Das einzige, was man Mister X vorwerfen kann, ist ein gewisser Grad an Dummheit. Warum nur hat er nicht einfach Anabolika reingeschüttet? Egal, allein die Dinge, zu denen Mister X theoretisch fähig gewesen wäre, reichten dem DLV-Rechtsausschuß-Vorsitzenden Günter Emig aus, die Sprinterinnen Krabbe, Breuer und Möller laufen zu lassen.
Verzweifelt hielt sich der Ministerialrat an bürokratischen Formalien fest; es war von vornherein ein ungleiches Spiel: Rauball, der „Bossi des Sports“, gegen den honorigen Ehrenamtlichen. Der Schweizer 'Tages-Anzeiger‘ lästert: „Das Gericht übertraf die kühnsten Erwartungen, indem es krampfhaft nach Verfahrensfehlern zu suchen schien, um einen Freispruch zu ermöglichen.“ Noch spöttischer kommentierte die 'Neue Züricher‘ den „fatalen Freispruch“: „Das Bezeichnende und Lächerliche ist der Umstand, daß die Grundsatzfragen vor einem Ausschuß geklärt wurden, der über jeden Verdacht übermäßiger Kompetenz erhaben war.“
Doch der DLV ist mehr als nur bis auf die Knochen blamiert. Die 'Neue Züricher‘: „Mit einem Schlag wird der Verband seiner letzten Glaubwürdigkeitsreserve zerschmettert. Mehrere Millionen Mark hat er für ein Kontrollnetz verschleudert, das sich als sinnlos herausstellt.“ Denn der Freispruch stellt die Sinnfrage von Dopingkontrollen neu. Wenn Verstöße trotz derart enger Indizienkette aufgrund von Formalfehlern abzustreiten sind, kann man Kontrollen getrost vergessen. Bestenfalls schafft man damit ein Zwei-Klassen-Kontrollsystem, wie die französische 'l'equipe‘ befürchtet: „Die Entscheidung ist eine Ohrfeigen für alle, die im IOC dafür kämpfen, daß der Sport von dieser Geißel der Perversion befreit wird. Gibt es heute zwei Sorten von Gedopten: Die gewöhnlichen, naiven und fügsamen und die privilegierten, die ihre Unschuld behaupten, die Zähne zeigen und mit Hilfe ihrer Anwälte die Prozedur zerteilen?“ Tatsächlich hat der fiktive Mister X mehr Möglichkeiten zum manipulatorischen Eingriff, je weiter der Weg ins Labor ist. Wer kein Geld hat für entfernte Trainingslager, hat halt Pech.
Das 'Svenska Dagbladet‘ roch: „Die Affäre ist muffig. Sollte Krabbe in Barcelona starten, könne es sein, das alle im selben Stil schummeln.“ Die 'Dagens Nyheter‘ schreibt: „In den Augen vieler ist Krabbe eine Schummlerin.“
Der einzige Weg, Manipulationen unanfechtbar zu machen, ist der der totalen Kontrolle. Das bedeutet, Kuriere müßten die SportlerInnen überall hin verfolgen und die Probe an Ort und Stelle analysieren. Das jedoch würde allein in Deutschland Steuergelder von etwa 20 Millionen Mark kosten. Eine lächerliche Vorstellung, solche Summen auszugeben, nur um Sportlern nachzuweisen, ob sie schummeln oder nicht. Besser, man beläßt die Kontrollen beim jetzigen Standard und verabschiedet sich getrost von der Vorstellung, daß der Sport der Sponsoren überhaupt sauber bleiben kann. miß
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