PRESS-SCHLAG : Panische Resterampe
QUAL Erst unterirdisch, dann triumphal, jetzt todgeweiht. Die Bundesliga hyperventiliert mehr denn je. Da hilft nur der Abstieg
Die ersten Spieltage einer Saison versprühen immer ihren eigenen Charme; dieses Jahr noch heftiger als sonst. Gewinnst du ein Spiel nicht, ist das Ende nah. Wumm, krach, schepper. Orakel übertreffen sich mit düsteren Prognosen. Aus einer einzigen Niederlage wird sofort eine miese Saison destilliert. Der Untergang naht.
Und dann, rumms, wusch, ist alles wieder gut. Schalke und der HSV, eben noch fast schon abgestiegen, sind plötzlich obenauf. Hertha hat erst eine Lolita-Affäre, jetzt die erste Niederlage nach sechs Monaten – schon folgt auf den Traumstart die Absturzprognose. Bremen unterirdisch, dann triumphal, jetzt wieder todgeweiht – im Wochentakt. Mainz steht vor der Tabellenführung und wird zerlegt. Auch die Schiedsrichter machen mit: Vergangene Woche ahndeten sie jede ungewollt herausgestreckte Fingerkuppe mit Handelfmeter, an diesem Samstag konnte man sogar straffrei den Ball fangen. Und alle stöhnen, klagen zum Gotterbarmen. Bundesliga ist eine einzige Qual.
Man ahnt, wie alle 18 Bundesligisten neidvoll in die Biotope tieferer Ligen blicken. Fürth bespielt Liga zwo mit Genuss. St. Pauli und seine Fans haben sich im Unterhaus freudvoll eingerichtet, Bochum im Neururerrausch, Euphorie bei Union, Köln wie gewohnt im geifernden Stress, aber voller Streben Richtung Champions League („langfristige Perspektiven“). Die Träumerliga lebt.
Je tiefer man fällt, desto besser. Duisburg boomt in Liga 3. Alemannia Aachen, zweimal nacheinander abgestiegen, rumpelt sich durch Liga 4. Die Fanschaft, Heimspiel für Heimspiel fast 10.000 Menschen stark, glaubt an einen Neuanfang. Das ist das Zauberwort der Untoten. Neuanfang. Wiedergeburt. Fußball-Buddhismus. In Oberhausen reden sie so, in Essen, Uerdingen, Offenbach. Wo man vor Generationen mal Bundesliga spielte, teils sogar Europapokal.
Oben sind alle panisch. Schnell wird Personal getauscht, bis Sonntagabend glühten die Drähte. Pukki und Tasci weg, Helmes und Lasogga wohl auch, neue Heilsbringer her. Transfermarkt-Tabellenführer Wolfsburg hat 31 Spieler umgetauscht. Mit 20 Wechseln ist man nur Mittelfeld. Zusammen sind im Sommer über 300 Spieler gekommen und gegangen. Irre. Man möchte kein Produzent von Sammelbildchen sein.
Nur die großen Bayern geben sich mit solchen Banalitäten nicht ab. Der Kader zum Platzen fett, erobern sie mit einem satten 1:1 unter der Woche die Tabellenführung und holen mit dem Superpepcup den ersten Titel jetzt schon zu Saisonbeginn. Guardiola, der vorschusslorbeerumrankte Umbauarchitekt, genießt den üblichen Bayerndusel (Lastsecondgoal). Wir kondolieren dem Kollegen Mourinho.
Und ganz in Ruhe sehen sich die Münchner das Scheitern der Konkurrenz an. Sie wissen: Ihr seid alle nur – Staffage. Die billigen Beilagen. Die Resterampe der Liga. BERND MÜLLENDER