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Archiv-Artikel

PRESS-SCHLAG Kick & Rush & Ehering

SKY-EXPERTEN Dieser Spieltag beweist: Wer am Samstagabend kickt, liefert ein „Topspiel“. Und Gewinner sind „opportunistisch“

Irgendwann gab es diese kleine Einblendung unten links: „Im Anschluss: Analyse & Kommentare“. Na dann, dachte man. Die letzte Spielminute dieses „Topspiels“ lief bereits, die Mindestlohnleute standen wahrscheinlich schon am Spielfeldrand bereit, um diese Raumschiff-Expertenbrücke auf Position zu bringen. „Nur ein Spot“, und dann säßen sie schon da und hielten schön ihre Eheringe in die Kamera, die „Experten“ des Bezahlsenders Sky.

Eheringe und Mikrofone trägt man bei Sky an oder in der linken Hand, und es gibt eine Bekleidungsfirma, die alle Experten in schick sein sollende Funktionskleidung stopft, die allein durch das Label Sky wieder enorm an ästhetischem Wert verliert. Aus den Mündern kommt dann das, was die Experten so „Analyse“ nennen: Lothar Matthäus, künstliches Gebiss, hat eh schon alles vorher gewusst, und Didi Hamann, Schande meiner Familie, weil zu oft bei den falschen Vereinen gewesen (Ausnahme: FC Liverpool), hat ein paar Sätze aus dem Udo-Lattek-Nachlass geerbt und darf also auch mal was sagen.

Und dann sitzt da noch der Vizeweltmeister von 2002, Christoph Metzelder. Und wagt sich ein wenig ins Fußballtheoretische hinaus: „Opportunismus“ sei das, was der HSV spielt. „Wenn das ein Spielsystem ist, dann ein opportunistisches“, so ungefähr drückt sich Metzelder aus, der damals als einer von Rudis Resterumplern mit ungefähr demselben Opportunismus tatsächlich bis ins Endspiel von Yokohama kam.

Opportunismus also. Na ja, man kann das schon so sehen: Der HSV verzichtet mittlerweile gänzlich auch nur auf den Versuch, irgendeine Form von Spielkunst anzuwenden. Doppelpässe, Passstaffetten, interessante Laufwege, Kombinationen: höhere Kunst, die nur allzu gern dem Gegner überlassen wird. So war das auch gegen Hannover. Das eigene Programm hieß: kompakt stehen, Zweikämpfe bestreiten, ansonsten Kick & Rush, meistens ohne Rush, oft auch ohne Kick. Das ging diesmal besonders gut, weil sich Hannover dämlich anstellte, einen Elfmeter vergab und zwei Eigentore hinlegte.

So gewann der HSV, nämlich, sagen wir: pragmatisch. Das wäre der richtigere Begriff, denn opportunistisch zu spielen versuchen doch die meisten: Jeder Verein ist nur auf den eigenen Vorteil bedacht! Keiner will Punkte teilen, alle spielen erfolgsorientiert! Eine ganze Liga der unbescheidenen Opportunisten kickt da.

Irgendwann kam dann die Mannschaft ins Bild, denn Sky hatte seine Expertentafel just vor der Fankurve geparkt. Und in dieses Bild wurde unten eingeblendet, dass es der „erste Sieg des HSV in einem Topspiel seit vier Jahren“ war. „Topspiel“ heißt: Samstagabendkick.

Ich finde das ganz opportunistisch: Es wird Zeit, das Bezahlfernsehen wieder einzuschränken. Gibt es diese „Pro 15:30“-Bewegung eigentlich noch?

RENÉ HAMANN