PRESS-SCHLAG: Journalist schlägt Spieler!
■ Eklat nach dem Pokalspiel Schalke – Dortmund 2:3
Vorweihnachtlicher Frieden im Presseraum des Gelsenkirchener Parkstadions. 47.300 Zuschauer waren zuvor aus dem Sauer und Siegerland, dem Münster- und Emsland zusammengeströmt, um den Revierklassiker zu sehen. Umrahmt von abgefeuerten Raketen, dem Lalü-Lala von Polizei und Krankenwagen ging alles wie geplant aus. Der Erstligist Dortmund kam eine Pokalrunde weiter, der Zweitligist Schalke wahrte ob der knappen Niederlage das Gesicht. Routine bei der Pressekonferenz: „Keine Fragen mehr an die Trainer? Dann wünsche ich Ihnen ein...“
Doch da erhebt sich Rumoren und Gerumpel. Ein Mann steht zusammengekrümmt und hält sich den Kopf. Ein anderer Mann mit Brille und silbergrauem Bart hat nasse Haare und protestiert laut: „Der hat mir Wasser über den Kopf geschüttet, da habe ich zurückgeschlagen.“ Atemlose Stil- le im Raum, man ist peinlich berührt. Der zusammengekrümmte Mann wird zur Seite geführt, setzt sich auf einen Stuhl und erhält ein nasses Handtuch, um seine Blessur zu kühlen. Einige Neugierige treten auf ihn zu und versuchen ihn anzusprechen, aber er sitzt nur da mit seinen hochroten Ohren und dem nassen Lappen und schweigt. Es ist der Berufsfußballer Frank Pagelsdorf, 30 Jahre alt, seit 1984 Angestellter bei Borussia Dortmund.
Eine andere Gruppe sammelt sich um den Herrn, der zugeschlagen hat. Es ist Jürgen M., Angestellter beim Springer-Verlag und in der 'Bild-Zeitung' für die Berichterstattung über Borussia Dortmund zuständig. Frank Pagelsdorf bittet einen ZDF-Reporter zu sich und spricht leise mit ihm. Dr.Niebaum, Präsident des BVB, kommt einige Schritte herüber und stellt sich vor seinen Spieler. Er spricht leise, und nur die Ersten in der Reihe der Zuhörer bekommen alles mit. „Man muß sich auch mal überlegen, mit was für Leuten wir es hier zu tun haben ... der Verein zu häufig mit Dreck beworfen ... Spieler wie Raducanu weggeschrieben.“ – „Oder auch Trainer Saftig“, ereifert sich ein älterer Herr. „Auch Saftig“, echot der Präsident.
Einige Meter weiter redet ein erregter Trainer Horst Köppel auf den nassen Reporter ein. „Hör mal, Jürgen, das gibt's doch gar nicht, das finde ich wirklich nicht gut. Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden geschlagen.“ Aber er sei doch provoziert worden. Warum Frank Pagelsdorf den weiten Weg durch die Katakomben des Parkstadions machte, um den Reporter der 'Bild-Zeitung' ein Glas Wasser über den Kopf zu schütten, das bleibt im Halbschatten. Er habe sich über die Jahre beleidigt gefühlt, zitiert ihn später das ZDF im Sportstudio.
Ein hilfloser Versuch, gegen eine Berichterstattung zu protestieren, die über Jahre immer wieder in die Entscheidungen des Vorstands und der Trainer zu intervenieren sucht. Eine Berichterstattung, die Stars produzieren und stürzen soll. Der Mann von 'Bild' diktiert in Dortmund den Fans die Sprechchöre in den Hals. Er macht dabei gemeinsame Sache mit dem Star des Teams, mit Frank Mill. Per exklusiver Information verschafft er dem ehrgeizigen Mill Publicity und die Möglichkeit, seine Vorstellung von der Weiterarbeit im Verein ans Publikum zu bringen. Frank Pagelsdorf soll der vermeintliche Antipode von Mill im Ränkespiel um die Mannschaft sein. Eine eigene Medienmacht hat Pagelsdorf nicht im Rücken. Vielleicht hat er es deshalb mal mit einem Glas Wasser versucht.
Christoph Biermann
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