PRESS-SCHLAG: Panik im Hühnerstall
■ Nach dem 1:4 gegen den Hamburger SV braucht Hertha BSC dringend viel mehr Trainer
Die größte Überraschung gab es gleich zu Anfang: der Trainer war noch da. Das ist bei Hertha BSC keineswegs selbstverständlich, denn hier verschwinden die Fußballehrer neuerdings schneller als die Karnickel in einer Zaubershow. Dabei hatte alles so gemächlich begonnen.
Vor fünf Jahren waren die Berliner zu den Amateuren abgestiegen, was auch Rudi Gutendorf nicht verhindern konnte, der damals als Retter in höchster Not verpflichtet worden war. Bevor er wieder rausflog, hatte Gutendorf für Hertha und den damaligen Präsidenten Holst nur noch Hohn und Spott übrig gehabt und den Verein, der gerade eine prächtige Villa als Geschäftsstelle bezog, beschieden, daß er eigentlich in einen Hühnerstall gehöre.
Danach bemühte sich ein neuer Vorstand emsig, das alte Image der permanenten Skandalnudel loszuwerden, und die Trainer Sundermann und Fuchs schafften es gemeinsam mit Manager Wolter tatsächlich, die renovierte Hertha behutsam wieder in die oberste Spielklasse zu führen. Dort jedoch klebte das Pech von Anbeginn an den Stiefeln, und es dauerte nicht lange, da verwirrte sich Herthas Geist.
Fortan wandelte der Club zwischen Wahn und Wirklichkeit. Erst schwor man Fuchs unverbrüchliche Treue, kurz darauf saß er auf der Straße. Auf Wolter folgte Roder, auf Fuchs folgte Csernai, der sich bald vorkam wie Beckenbauer in Marseille: keine gescheiten Trainingsmöglichkeiten, miserable Planung, verunsicherte Spieler, und nicht mal auf den Mannschaftsbus war Verlaß. „Beim Gedanken, hier ein weiteres Jahr zu verbringen, fallen mir auch noch die letzten Haare aus“, grauste sich Csernai, auf Csernai folgte Neururer.
Der hatte sich mal vorgenommen, mit 35 in der ersten Liga zu trainieren und schreckte daher auch vor Hertha nicht zurück. Nachdem er jetzt sein Ziel erreicht hat, geht er schnell wieder — in die zweite Liga, zu Saarbrücken. Hertha habe kein Konzept für einen Wiederaufstieg, rügte Neururer, was im Klartext nichts anders heißt, als daß Vorstand und Management aus kompletten Nieten bestehen. Bis zum Saisonende will er jedoch tapfer aushalten. Bleibt nur die Frage, ob Hertha ihn läßt oder nicht doch lieber noch zwei bis drei Trainer für die restlichen Spieltage verpflichtet.
Gegen den HSV, vielbelächelter Meisterschaftstip der taz, war Neururer jedenfalls noch da, und in der ersten Halbzeit hat er dies wahrscheinlich bitter bereut. Vier Tore werde der HSV schießen, hatte der verletzte Thomas von Heesen vorher prophezeit. „Warum nicht?“ schienen die Berliner Spieler zu denken. Die Tore zum 0:1 durch Furtok in der 16. und 0:2 durch Stratos in der 20. Minute verschlugen den wenigen Hertha-Anhängern endgültig die Sprache, während der umfangreiche Hamburger Fanblock vergnügt lärmte und versuchte, den Eindruck südländischer Begeisterung zu erwecken — ein Unterfangen, das etwa so wirkt, als würde Buster Keaton die Muppets-Show moderieren.
Daß die Herthaner eigentlich gar nicht so schlecht sind und ihnen bloß das Zutrauen fehlt, bewiesen sie nach der Halbzeit. „Da ist Feuer drin“, schoß HSV-Trainer Schock etwas über das Ziel hinaus, aber immerhin griffen die Gastgeber jetzt beherzt an und stürzten die Abwehr um den Möchtegern-Nationalspieler Beiersdorfer, der bewies, daß er zumindest den Rückpaß zum eigenen Torwart besser beherrscht als beispielsweise Klaus Augenthaler, in heftige Verwirrung. „Ich habe sie nicht gerade beleidigt“, erläuterte Neururer später die Hertha- Auferstehung, „aber ich habe ihnen erklärt, daß es um Fußball geht und nicht um Schach.“ So einfach kann Sport sein.
Eine Rochade von Lünsmann und Theo Gries ermöglichte es letzterem in der 54. Minute, den Anschlußtreffer zu erwurschteln, der HSV schwankte wie ein Aktienkurs, stellte aber schließlich doch klar, wer der Absteiger und wer der nun mit den Bayern punktgleiche Meisterschaftskandidat ist. Unter gütiger Mithilfe von Torwart Junghans, der den Ball zweimal zielsicher auf den Fuß des Polen Furtok klatschte, schafften die Hamburger doch noch die vier Tore, die von Heesen geweissagt hatte, und dieser sollte sich überlegen, ob er nicht mit dem Nürnberger Kasalo eine Wettgemeinschaft gründen will.
Der Hertha hingegen ist nun wirklich nicht mehr zu helfen. Es sei denn durch einen sofortigen Trainerwechsel. Wir plädieren für Rudi Gutendorf. Matti
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