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PRESS-SCHLAGDruck auf die Tränendrüse

■ 1. FC Nürnberg gegen Bayer Leverkusen 1:0/ Fans starten einmalige Aktion zur Rettung des Clubs

Der 24jährige Nürnberger Martin Wagner ist ein ordentlicher deutscher Arbeiter — im Sportjargon „ein wahrer Profi“. Er stellt zwar seine Qualitäten als Linksfüßler in der nächsten Saison den roten Teufeln vom Betzenberg zur Verfügung, verspricht aber, sich in der laufenden Saison für seinen derzeitigen Brötchengeber, dem 1. FC Nürnberg, noch voll reinzuhängen — und hält Wort. Mit seinem satten Linksschuß aus 14 Metern in der 57. Minute besiegelte er nicht nur Leverkusens Niederlage im erneut vollbesetzten Frankenstadion, sondern stürzte seinen zukünftigen Arbeitgeber vom schon sicher geglaubten UEFA-Cup-Platz auf den undankbaren Rang sechs.

Gerhard Schwing aus dem baden-württembergischen Jagsttal, Alter unbekannt, ist nicht nur als Vorstand seines Ein-Mann-Fanclubs ein echter Einzelkämpfer, sondern im Jargon der 1. FCN- Vereinsführung ein „wahrer Fan“. Er schenkte dem mit 23 Millionen Mark verschuldeten Verein 10.000 Mark und führt damit die Spenderliste der am Tag der Arbeit von den Fanklubs begonnenen Aktion „Rettet den Club“ an. Mit Schwings Spende kann der 1. FCN immerhin ganze zweieinhalb Tage lang seine Zinsschulden tilgen.

Der Nürnberger Rechtsanwalt Sven Oberhof ist felsenfest davon überzeugt, ein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft zu sein und besitzt einen überdimensionalen Mantel des Schweigens. Damit versucht er, alle amateurhaften Unzulänglichkeiten in der Vereinsführung zuzudecken, und hofft inbrünstig, es werde wohl keiner merken. Er spekuliert darauf, daß nach der im bundesdeutschen Fußball bislang einmaligen Rettungsaktion von Gerhard Schwing und anderen Fans endlich auch die fränkische Wirtschaft dem Verein unter die Arme greift.

Die Zeit dafür drängt. Schon mehren sich die Stimmen der Liga- Konkurrenten aus Dresden, Rostock und Bremen, die den Deutschen Fußballbund der Wettbewerbsverzerrung beschuldigen, weil dieser dem maroden Verein die Lizenz nicht schon längst entzogen hat. Seit Wochen hängt das Damoklesschwert des Konkurses über den Renommierverein. Von Tag zu Tag nehmen die Turbulenzen an Dramatik zu. Mit Willy Hoffmann, einem ehemaligen Brauerei-Vorstandsvorsitzenden, ist schon der dritte Schatzmeister in der laufenden Saison im Amt. Vor einer Woche hat der DFB angekündigt, gegen den 1. FCN wegen allzu großzügiger Schiedsrichtergeschenke Anklage zu erheben. Die Gerüchteküche um einen bevorstehenden Ausverkauf der Mannschaft brodelt, und zu guter Letzt fordert der einstige Trainer Arie Haan jetzt noch eine sechsstellige Summe an Gehaltsaußenständen.

Doch auch manch Silberstreif am Horizont ist zu entdecken. Nürnbergs SPD-Oberbürgermeister riskierte gar Krach mit der eigenen Parteibasis und mit dem grünen Koalitionspartner, um — im Stile eines Alleinherrschers — dem Verein aufgelaufene Mietschulden für das Frankenstadion in Höhe von 900.000 Mark zu stunden. Oscar Iparraguirre, der Manager des argentinischen Publikumlieblings Sergio Zarate, macht dem „Club“ gar Hoffnungen, daß sein Schützling noch ein Jahr in Nürnberg kicken wird, bevor ihn das große Geld nach Spanien lockt.

Und dann natürlich die Fanklubs. Sie wollen dem Verein mit der Aktion „Rettet den Club“ ein üppiges Darlehen mit der Laufzeit von vier Jahren verschaffen wollen. Damit es auch richtig an die Tränendrüse und den damit irgendwie verbundenen Geldbeutel geht, durfte in der Halbzeitpause der Begegnung zwischen Nürnberg und Leverkusen ein treuer Clubfan im Rollstuhl seinen Spendenprolog an die anwesenden 47.000 Zuschauer richten: „Seid wahre Fans, gebt dem Club ein Darlehen.“ Während der Vereinsvorstand jahrelang das von diesen Fans gezahlte Eintrittsgeld verschleudert hat, ist sich Oberhof jetzt nicht zu schade, zur Schuldentilgung den Fans erneut das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Das funktioniert aber nur, wenn die Anhänger so richtig bei Laune gehalten werden. Dafür sorgt die Mannschaft des 1. FC Nürnberg, die trotz chaotischer wirtschaftlicher Verhältnisse und ungesicherter Zukunft zu einem sportlichen Höhenflug ansetzt. Sie spielt zwar nicht unbedingt schön, aber sie kämpft und hat Erfolg — auch ohne den verletzten Zarate. „Für uns geht es um den UEFA- Cup, da ist Kampf angesagt“, gab der Ballzauberer aus Argentinien von der Tribüne aus die Losung für die noch ausstehenden Begegnungen aus. Und der ehrenwerte Oberhof: „Die Mannschaft ist unser größtes Kapital.“ Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt. Bernd Siegler

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