PRESS-SCHLAG: Wellenreiter der Euphorie
■ Die wundersame Himmelfahrt des dänischen Fußballs
Daß die Dänen nicht nur Butterfässer bedienen und wässriges Bier brauen, sondern hin und wieder auch exzellent Fußball spielen können, sprach sich in der Bundesliga spätestens Anfang der siebziger Jahre herum, als ein gewisser Ulrik LeFevre bei Borussia Mönchengladbach Günter Netzers Pässe in wunderhübsche Tore transformierte. In LeFevres Gefolge sorgten Leute wie Henning Jensen und Alan Simonsen für Furore und begründeten einen europaweiten Dänenboom. Bloß die Nationalmannschaft kam nicht so recht auf die Beine.
Das änderte sich 1984, als Morten Olsen, Michael Laudrup und Preben Elkjaer-Larsen mit prickelndem Angriffsfußball die Europameisterschaft in Frankreich durcheinanderwirbelten. Der große Wurf blieb dem „Danish Dynamite“ jener Jahre jedoch verwehrt. Im EM-Halbfinale verloren sie das Elfmeterschießen gegen Spanien, und bei der WM 1986 in Mexiko nützte es ihnen wenig, daß sie das begeisterndste Team der Vorrunde waren und die Deutschen beim 2:0 in Queretaro wie eine übernächtigte Kneipenmannschaft aussehen ließen. Im Achtelfinale gingen sie mit fliegenden Fahnen und 1:5 Toren erneut gegen die Spanier unter, während sich Beckenbauers Minimalisten bis ins Endspiel wurschtelten.
Der klägliche Europameisterschaftsauftritt 1988 war der Abgesang auf das alternde „Champagnerteam“ des Sepp Piontek und schien den dänischen Fußball auf Jahre hinaus in die zweite Garnitur zurückzukatapultieren. Die wundersame Auferstehung und Himmelfahrt der Dänen in Schweden war unter diesen Umständen etwa so sensationell wie ein Sieg von Ivan Lendl in Wimbledon. Daß ausgerechnet dieser aus dem Urlaub zusammengetrommelte Ersatz für die sanktionierten Jugoslawen erreichte, was sowohl den Elkjaers und Olsens als auch jenem legendären dänischen Team, das 1908 und 1912 die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen gewann, verwehrt blieb — ein Triumph bei einem großen Turnier — ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die glauben, sie könnten den Erfolg durch mehrwöchige Kasernierung und die akribische Kontrolle von Laktatwerten programmieren. „Wir haben normal gegessen und ein paarmal zwei, drei Bier zuviel getrunken“, grinste Brian Laudrup. „aber wir wissen selbst, wann wir feiern können, und wann wir spielen müssen.“
„Brauch' ich alles nicht“, hatte schon Franz Beckenbauer einst die laktat- und biorythmengläubigen Quacksalber der Sportmedizin abgekanzelt: „Ich muß dem Spieler nur in die Augen sehen, dann weiß ich, ob er fit ist.“ Hätte er den Dänen nach einer Stunde Spielzeit in die Augen geschaut, er hätte vermutlich einen Krankenwagen gerufen. Spätestens dann nämlich waren zumindest die in der dänischen Liga tätigen Mitglieder des rot- weißen Ensembles am Ende ihrer Kräfte — ein Umstand, auf den sowohl Hollands Coach Rinus Michels als auch Berti Vogts ihre Hoffnungen gesetzt hatten.
Doch das Dänenteam von 1992 besaß einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem der Achtziger: Sepp Piontek verfügte über eine glänzende Offensive, mußte aber mit einer labilen Abwehr leben, seinem vielgescholtenen Nachfolger Richard Möller-Nielsen hingegen gelang das Kunststück, die Defensive zu stabilisieren, ohne den Angriff zu vernachlässigen. Mit hohen Bällen war dem flankengeschulten Manchester-United-Keeper Peter Schmeichel („im englischen Fußball geht es nur um Flanken“) und seinen Vorderleuten absolut nicht beizukommen, die Verteidigung war perfekt organisiert und auch durch rasche Positionswechsel der gegnerischen Angreifer nicht zu irritieren. Geschickt verdammten die Dänen die Seele des gegnerischen Spiels — Gullit bei den Holländern, Häßler bei den Deutschen — zur schieren Bedeutungslosigkeit, und wenn sie in Ballbesitz kamen, spielten sie sich das Leder kaltblütig und abgeklärt zu oder jagten ihre großartigen Stürmer los: Brian Laudrup und Flemming Povlsen, den besten Spieler dieser EM, der an allen dänischen Toren beteiligt war, vor Kraft strotzte und mit seinen langen Sprints und seiner phantastischen Ballbehauptung immer dann Entlastung brachte, wenn die Defensive kurz vor dem Zusammenbruch stand.
Diese Spielweise, bei der alle Akteure ständig in Bewegung waren, hätte auch Teams mit weit besserer Kondition an den Rand der Erschöpfung gebracht, doch wenn der Zusammenbruch nahte, half den Dänen die Gunst des Schicksals. John Jensens Pfostenschuß beim 0:0 gegen die Engländer, den idealen Aufbaugegner, hatte sie aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt. Plötzlich wußten die vermeintlichen Hanswurste dieser EM, daß sie mithalten konnten, und der Triumph gegen Platinis jammervolle Franzosen ließ sie endgültig auf ihrer „Wolke der Euphorie“ (Berti Vogts) entschweben. Außer im 0:1 verlorenen Spiel gegen Schweden geriet Dänemark nie in Rückstand, statt dessen gelangen frühe Tore gegen Frankreich, die Niederlande und Deutschland — ideale Bedingungen für den Konterfußball des Außenseiters.
Und wenn der Gegner übermächtig zu werden drohte, dann schossen sie halt noch ein Tor, was die allerletzten Energien freisetzte. „Einige schienen gar nicht mehr gehen zu können, und dann rannten sie plötzlich los wie die Besessenen“, staunte Rinus Michels, und Bodo Illgner gestand auf die Frage, ob die Dänen denn nun wirklich die stärkste Mannschaft dieser EM gewesen seien, unumwunden zu: „Auf jeden Fall die willensstärkste.“ Matti
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