PRESS-SCHLAG: Nie wieder Mittelmaß
■ Eine kleine Einstimmung auf die Zweite Liga
Wir stehen vor einer großen Saison. Nein, nicht in der Ersten Liga. Wir stehen vor einer großen Zweitligasaison, groß in jeder Hinsicht. Ein kurzer Rückblick: Nie war eine Spielzeit im Unterhaus so belanglos wie die vergangene. Als Provinzposse tingelte die zweigeteilte Zweite Liga durchs Land. Deprimierend war das Studium ihrer Spielpläne à sechs Paarungen, von den lächerlichen Zugaben der Auf- und Abstiegsrunden à drei Spielen ganz zu schweigen. Niemand kann behaupten, es sei ein Vergnügen, zweimal im Jahr ein Gastspiel in Krefeld zu absolvieren.
Diese düstere Zeit zweitklassiger Zweitliga-Unterhaltung ist passé. Daß Uerdingen in die Erste Liga abtrat, kann dabei als qualitativ angenehme Begleiterscheinung begrüßt werden. Die wahre Wonne aber ist die quantitative Wiedergutmachung. Heute abend wird ein Spektakel eröffnet, dessen Vorhang erst 46 Spieltage und 552 Begegnungen später fallen wird — die Zweite Liga ist wieder eine.
Froh muß nun jeder St. Paulianer sein, daß sein Klub mit seinem „Wir sind die Piranhas im Karpfenteich“-Stück durchfiel; dankbar jeder beim MSV Duisburg, daß den älteren Herren beim Showdown in der Ersten die Puste ausging. Sehr bedauerlich, daß die Löwen von 1860 München nicht mehr brüllen, und fraglos zu beklagen, daß sich der in Imagefragen den Bayer-Equipen in nichts nachstehende VfL Wolfsburg in der Aufstiegsrunde gegen die Ostberliner Oberligisten Union und Dynamo (offiziell: FC) durchgesetzt hat.
Doch welche Perlen wiegen das wieder auf! Da wäre beispielsweise Aufsteiger Wuppertaler SV. Der hat ein ebenso denkmalgeschütztes wie kurioses Stadion zwischen Schwebebahn und Zoo, zudem soviel Tradition, daß seine treuesten Fans immer noch die Kutten aus den siebziger Jahren spazierentragen. Eingekauft hat der Klub im großen Stil, zuvorderst Michael Tönnies, genannt „Der Dicke“ und konkurrenzlos in der Sparte Torschießen in Trance.
Des Pommes-Liebhabers alter Arbeitgeber, der MSV Duisburg, hält sich trotz dieses Verlustes für unschlagbar. Fan-Devise: „Wiederaufstieg ohne Gegentor“. Gemunkelt wird zudem, daß Tönnies' Nachfolger Papic noch magischere Verbindungen zum gegnerischen Tor pflegt.
Gleichfalls Ambitionen auf jene drei Spitzenplätze, die den direkten Aufstieg bedeuten, haben die Kicker aus Oldenburg, die aus Freiburg, die aus Düsseldorf — und wohl auch der FC St. Pauli (Hoffnungsträger: Übungsleiter Lorkowski). Mittelmäßige Zielsetzungen kann sich ohnehin kein Klub erlauben. In dieser Hinsicht ist die Liga doch wieder zweigeteilt, diesmal allerdings im besten, weil dramaturgisch spannendsten Sinne: Wer nicht um den Aufstieg spielt, der spielt gegen den Abstieg. Sieben der 24 Mannschaften werden nach dieser Saison ihre regionalen Oberligen verstärken. Wer an die jüngsten Abstiegsdramen in der Ersten Liga denkt, der weiß, was für ein süßes Versprechen das Gedränge um Platz 17 birgt.
Das Beste am ganzen Programm aber bleibt seine epische Anlage: Bis über finale Siege und Niederlagen entschieden ist, werden 49.680 Minuten gespielt sein. Welcher Erstligist kann da noch singen „Niemals Zweite Liga“? Eben. Wir stehen vor einer großen Saison. Katrin Weber-Klüver
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