PRESS-SCHLAG: Muskel und Moral
■ Das DLV-Präsidium bestätigte die Suspendierung der Sprinterinnen Krabbe, Breuer und Derr
Die Pressekonferenz nach dem 200-m-Lauf bei den Olympischen Spielen in Barcelona nutzten die drei Medaillengewinnerinnen zu einer großangelegten Flucht nach vorn. Selbst keineswegs über jeden Verdacht erhaben, wetterten Siegerin Gwen Torrence und die beiden Jamaikanerinnen Juliet Cuthbert und Merlene Ottey vehement gegen Doping, forderten Bluttests und schmähten neben der Russin Priwalowa und der Bob- Kersee-Läuferin Gail Devers, die die 100 Meter gewonnen hatte, vor allem Katrin Krabbe. Die war gerade der Clenbuterol-Einnahme überführt worden, doch Cuthbert war trotzdem skeptisch. Von wegen vier Jahre Sperre. Krabbe sei schließlich die „große weiße Hoffnung“ und nächstes Jahr, bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart, werde sie sicher wieder an den Start gehen.
Eine etwas tollkühne Prophezeiung, so schien es damals. Schließlich war Clenbuterol nicht irgendein Mittel, sondern die derzeitige Modedroge im Leistungs- und Freizeitsport. Namentlich als Anabolikum auf keiner Dopingliste verzeichnet und angeblich schwer nachweisbar, schien es die ideale Droge, um der etwas enttäuschenden menschlichen Muskelbildung ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Bei Lämmern ließ es den Wadenmuskel innerhalb von zwei Monaten um 40Prozent schwellen, und in der Kälbermast wurde es — verbotenerweise — eingesetzt, weil eine tägliche hohe Dosis die potentiellen Wiener Schnitzel in 27 Tagen um 30Prozent vergrößerte. Eine Kunde, die Musik in manchen Sportlerohren war. Daß Clenbuterol auch aufputschend wirkt, war eher eine lästige Nebenerscheinung. Im „Underground Handbook for Men and Women“, dem „What's What“ der Dopingszene, wurde der Stoff gepriesen und 20 Gramm täglich empfohlen, was einer Tablette jenes Asthmamittels Spiropent entspricht, das Katrin Krabbe, Grit Breuer und Manuela Derr eingestandenermaßen genommen hatten.
In Großbritannien und den USA hatte sich der Stoff nach Auffassung des Heidelberger Zell- und Molekularbiologen Prof. Werner Franke seit 1988 geradezu „seuchenartig“ verbreitet. Im Juni wurde der erste Clenbuterol-Händler zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. In Barcelona fand sich Clenbuterol im Urin des Hammerwerfers Jud Logan und der Kugelstoßerin Bonnie Dasse aus den USA, drei britische Athleten, darunter die neue Sprinthoffnung Jason Livingston, wurden des Clenbuterol-Mißbrauchs überführt, bevor sie nach Barcelona abreisen konnten. Alle wurden sofort suspendiert.
Für den Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) ist klar, daß Clenbuterol zu jenen Mitteln auf der IOC-Liste gehört, die zwar nicht namentlich genannt sind, aber unter die Kategorie der „sonstigen verwandten Mittel“ zur Muskelbildung fallen. Auch der langjährige Doping-Beauftragte des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Prinz Alexandre de Merode, teilt diese Meinung. Das bedeutet, daß Sportlerinnen und Sportler, bei denen Clenbuterol nachgewiesen wird, eine Sperre von vier Jahren bekommen und nicht, wie es bei einer Klassifizierung als Aufputschmittel der Fall wäre, lediglich vier Monate. Eine Auffassung, die der Doping-Control-Officer der IAAF, Bryan Wotton, einen Tag vor der DLV- Entscheidung im Fall Krabbe noch einmal in einem Brief bekräftigte.
Gutachten verschiedener Wissenschaftler und Ärzte hatten zuvor für Verwirrung gesorgt. So waren der Pharmakologe Prof. Norbert Rietbrock (Frankfurt) und der auch für das IOC tätige Spezialist Arnold H. Beckett zu dem Resultat gekommen, daß Clenbuterol kein anaboles Steroid sei und die Einnahme daher nicht mit vier Jahren Sperre bestraft werden könne. Sofort waren auch Olympia-Chefarzt Prof. Joseph Keul und DLV- Chefarzt Prof. Wilfried Kindermann mit ähnlichen Äußerungen zur Stelle und hatten so bei Katrin Krabbe offenbar die trügerische Hoffnung genährt, dem Schlamassel noch einmal mit juristischen Finessen entgehen zu können.
Umso enttäuschter waren die Sprinterinnen, als sich das DLV- Präsidium nicht beirren ließ, die Suspendierung der Athletinnen, ohne sich auf juristische und wissenschaftliche Spitzfindigkeiten einzulassen, bestätigte und nun eine vierjährige Sperre beantragen wird. „Unsere ethisch-moralische Position ist für uns wichtiger als die wissenschaftlichen Standpunkte“, sagte Prof. Helmut Digel vom DLV-Präsidium. „Man darf in diesem Fall nicht nach chemischer Verbindung oder Verwendung über den Wirkungsmechanismus, sondern muß nach dem Wirkungsziel urteilen“, meinte auch Prof. Franke. Und das sei eindeutig der Muskelzuwachs.
Der Anwalt der Sprinterinnen gedenkt nun, den DLV- Rechtsausschuß anzurufen, der Katrin Krabbe und Grit Breuer schon aus der südafrikanischen Urintausch-Affäre herausgepaukt hatte. „Ich fühle mich innerlich sehr stark. Es bahnt sich eine neue Prozeß-Lawine an“, sagte eine sichtlich deprimierte Katrin Krabbe, die das Asthmamittel Spiropent, wie sie sagt, genommen hatte, weil Trainer Springstein und der Mannschaftsarzt versichert hatten, daß es unbedenklich sei. „Natürlich machen wir uns jetzt Vorwürfe, daß wir uns nicht selber informiert haben.“ Matti
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