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PORTRAITEine neue Chance für das arme Georgien

■ Eduard Schewardnadse wird Vorsitzender des neuen Staatsrats/ Viel Mißtrauen muß noch überwunden werden

Aus Georgien, von wo dem deutschen Fernsehvolk um die Jahreswende die allabendliche Portion Horror & Entsetzen verabreicht wurde, jetzt endlich eine gute Nachricht! Eduard Schewardnadse hat sich nach umfänglichen Konsultationen in Tiflis bereiterklärt, den Vorsitz in einem neu begründeten Staatsrat zu übernehmen. Der vom „Duce“ Chamsachurdia aus dem Amt gezwungene und nach dessen Sturz vom Militärrat wiedereingesetzte Premier Tengis Sigua wird ihm als Stellvertreter zur Seite stehen, flankiert von Dschaba Josseliani und Tengis Kitowani, den beiden aufständischen Miliz- bzw. Nationalgarde-Kommandeuren. Dem Staatsrat gehören Vertreter aller Parteien an. Er soll, nachdem Repräsentanten der drei autonomen Gebiete (Südossetien, Abchasien und Adscharien) hinzugestoßen sind, 50 Mitglieder haben. Seine Aufgabe ist schnell zu umreißen, aber schwer zu verwirklichen: Politische Stabilität und Vorbereitung der Wahlen für Juni.

Schewardnadse findet bei seinem Amtsantritt ein Land vor, das zwar militärisch befriedet, aber politisch immer noch tief gespalten ist. Die Anhänger Chamsachurdias sind — auch in seinem migrelischen Heimatbezirk — zwar geschlagen, aber nach wie vor erfreut sich der Präsident einer geradezu religiösen Verehrung unter der Landbevölkerung, aber auch unter Teilen des Proletariats. Demgegenüber rekrutieren sich die Oppositionsgruppen fast ausschließlich aus der großstädtischen Tifliser Intelligenzia. Sein Erfolg bei der Präsidentschaftswahl vom 26. Mai — er erhielt 86% der Stimmen — ist ein starker Legitimitätsfaktor. Gerade hier, bei der Lösung der georgischen Legitimitätskrise, kann sich Schewardnadses Amtsübernahme als ausschlaggebend erweisen. Kraft seines internationalen Prestiges wird Georgien rasch völkerrechtlich anerkannt werden. Schon im Januar gab er bekannt, daß er für die Einrichtung eines internationalen Fonds eintreten werde, der Georgien mit Lebensmitteln und Energielieferungen über die nächsten Monate bringen könnte. Mit internationaler Unterstützung könnte er auch der unheiligen Allianz des Tschetschenischen Führers Dudajew mit Chamsachurdia ein Ende setzen. Dieses Bündnis hatte zur Unterdrückung der Osseten Georgiens geführt und den Konflikt zwischen dem autonomen Süd-Ossetien und der georgischen Zentralgewalt blutig zugespitzt — mit Rückwirkung auch auf die anderen Minderheiten der Republik.

Schewardnadse wird sicherlich zur Vereinigung der gemäßigt-demokratischen Kräfte beitragen. Nach dem Sturz Chamsachurdias charakterisierte er — etwas euphemistisch — den Militärrat als Ausdruck der demokratischen Bewegung, und seither verteilt er in der internationalen Presse sanftes Lob an pragmatische Politiker wie Tengis Sigua. Er wird darüber hinaus viele der Ex-Kommunisten mobilisieren, die im vergangenen Jahr auf Tauchstation gegangen sind. Eduard Schewardnadse ist Gurier, Angehöriger eines Volksstamms mit ausgeprägt sozialrevolutionärer und georgisch-nationaler Tradition. In seiner Familie stritten sich Bolschewiki und Menschewisten, gab es Opfer des Stalinschen Terrors und dessen Exekutoren. Er könnte für die Versöhnung wirken.

Gerade hier aber drohen der Arbeit Schewardnadses die größten Gefahren. Er war eben nicht nur Außenminister der Sowjetunion und gefeierter Verkünder des „Neuen Denkens“, er war auch Mitglied der KPdSU — und das jahrzehntelang. In Georgien stand er zuerst dem kommunistischen Jugendverband vor, war später Innenminister mit Verantwortung für den KGB, schließlich von 1972 bis 1985, als ihn Gorbatschow ins Politbüro der Union holte, erster Sekretär der georgischen Partei. Eigentlich war er ein Zögling Breschnews, bei dem er sich mehr als einmal Rückendeckung suchte. Menschlich verständlich, aber politisch unverzeihlich, daß Schewardnadse in seiner Autobiographie einer genauen Schilderung seiner Mitverantwortung an der politischen Unterdrückung in Georgien aus dem Wege ging.

Swiad Gamsachurdia hatte bereits zu Anfang der 70er Jahre im Samizdat eine Materialsammlung veröffentlicht, die die Folter in Georgiens Gefängnissen dokumentierte — zu einem Zeitpunkt, als Schewardnadse Innenminiser war. Er beschuldigte Schewardnadse auch, 1983 der Hinrichtung dreier Studenten und eines orthodoxen Priesters nach einer mißglückten Flugzeugentführung zugestimmt zu haben. Diese wie andere Anschuldigungen kursieren jetzt in der georgische Presse. Von Seiten der Nationalisten werden sie durch den Vorwurf ergänzt, Schewardnadse habe sich bis zum bitteren Ende an der Seite Gorbatschows für den Fortbestand der Sowjetunion eingesetzt, sei mithin ein Patriot zweifelhafter Qualität.

Den letzten Vorwurf wird Schewardnadse noch am leichtesten entkräften können. In dem für das Verhältnis Georgiens zur Sowjetunion entscheidenden Moment, dem Massaker von Truppen des sowjetischen Innenministeriums 1988 in Tiflis, nahm er unzweideutig für die georgische Seite Partei und erzwang die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gegen das sowjetische Militär. Sein Einsatz für Weiterführung, besser Neubegründung der Union ging stets davon aus, daß Georgien künftig ein souveräner, demokratischer, dem „Westen“ verbundener Staat sein werde. Schwieriger wird es für Schewardnadse sein, dem Vorwurf der Beteiligung an Untrerdrückungsmaßnahmen zu begegnen. Mit Recht hat er darauf hingewiesen, daß das Prinzip „Glasnost“ seine Wiege in Georgien hat. Bücher und Filme, z.B. die „Reue“ Abuladses, waren in der Sowjetunion zunächst verboten, in Georgien wurden sie gefördert. Lange vor der übrigen Union gestattete Georgien seinen Juden die Auswanderung. Korrupte Staatsanwälte und Richter wurden amtsenthoben, rechtsstaatliche Verfahren waren die Regel — und doch gab es die Unterdrückung der politischen Opposition und politische Gefangene.

Schewardnadse weist heute darauf hin, daß Georgien unter seiner Führung die Vorhut des Demokratisierungsprozesses bildete. Aber eine wirkliche Demokratie hätte eben die Umwälzung des ganzen Herrschaftssystems vorausgesetzt — und die war bis Ende der 80er Jahre nicht realistisch, wenn sie überhaupt vorstellbar war. Wird die georgische Bevölkerung diese Sicht der Dinge teilen? Neuesten Umfragen zufolge genießt Schewardnadse unter allen georgischen Politikern das größte Vertrauen. Aber Blankoschecks wie der für Gamsachurdia werden nicht mehr ausgestellt. Also keine schlechten Startbedingungen für den ehrlichen Makler. Christian Semler

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