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Archiv-Artikel

PLÖTZLICH AUSGEKNOCKT – UND NOCH MAL GANZ VON VORNE ANFANGEN. EIN WENIG WIE IN DER „UNENDLICHEN GESCHICHTE“ Wenn alles zerfällt. Jetzt zum Beispiel

JULIA SEELIGER

Habe nun, ach, Philosophie auf Wikipedia studiert, gehadert und gedacht. Was bleibt, ist der Chilibaum „Schily“ auf der Küchenfensterbank. Er trägt und trägt und trägt, und bald werden die grünen Früchte rot. Die Tomatenpflanzen, die mit ihm einzogen, sind schon jahrelang tot.

Wie schnell der Ratschlag „Wähle deine Infrastrukturen sorgsam“, der in meiner letzten Kolumne aus dem digitalen Wald läutete, für mich Wirklichkeit werden sollte, hätte ich wirklich nicht erwartet. Mein Blog bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist offline. Die Texte also raus aus dem Internet. Die Honorare: weg.

Pämm, plötzlich ausgeknockt und man weiß nicht, warum. Wie beim Judo, wenn man auf dem falschen Fuß erwischt wurde, plötzlich auf dem Rücken liegt, obwohl man sich kurz zuvor noch auf der Siegerstraße wähnte. Alles verloren. Jetzt steh ich da. Ohne Geld, ohne Sicherheit, ohne Familie. Ohne Familie, denn meiner WG werde ich auch ade sagen müssen. Arbeitslos, vernetzt und abgebrannt. Wieder von vorn, mit 33 Jahren wieder einen Lebensentwurf und einen Job suchen, und das wird nicht einfacher, wenn niemand mit einem zusammenarbeiten kann. Ein Jahr habe ich versucht, Freiberuflerin zu sein – so wie ich es eigentlich niemals wollte.

Es ist wie in der „Unendlichen Geschichte“, wie in dem Moment, als Bastian Balthasar Bux der Kindlichen Kaiserin ihren Namen gibt. Stille. Alles zerfällt, bevor es sich zu neuen Formen zusammenfügt.

Filmzitate helfen: „Manchmal frisst du den Bären, und manchmal frisst der Bär dich“ (The Big Lebowski) oder „And crawling, on the planet’s face / some insects, called the human race / Lost in time, and lost in space / … and meaning“ (Rocky Horror Picture Show).

Oder eben „‚Da kann man nichts machen‘, sagte Herr Lehmann“ (Herr Lehmann). Wenn ich nicht meinen Alkoholkonsum eingeschränkt hätte, könnte ich jetzt bis morgens um sieben betrunken in Kreuzberg herumlaufen und Hunde mit Schnaps abfüllen. Und weltpolitisch angeblich wichtige Ereignisse verpassen.

Aber „das hat ja auch keinen Sinn“, würde Herr Lehmann auch sagen. Das hat doch alles keinen Sinn. Ich kann mich nun auf Hartz IV oder schlecht bezahlte Webdesign-Jobs zurückziehen und 24/7 ins Internet labern. Tag und Nacht durchchatten. Sex, Drogen, Katzenbilder.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Donnerstag Josef Winkler Wortklauberei

Montag Kübra Gümüsay Das Tuch

Dienstag Deniz Yücel Besser

Donnerstag Ambros Waibel Blicke

Montag Barbara Dribbusch Später

Doch am Ende will ich ja eigentlich schon ’ne Rente haben und auch mal ’ne Reise machen. Vielleicht muss ich in eine andere Stadt ziehen, weg aus diesem Berlin, das niemals schläft und wo keiner arbeiten will, wie üble Gesellen behaupten. Vielleicht muss ich nach Süddeutschland, bei einem Autozulieferer arbeiten wie mein kleiner Bruder. Oder nach Hannover, in die Stadt, in der jeder Freunde hat.

„Tu, was du willst“ ist ein zentrales Bild in der „Unendlichen Geschichte“. Am Ende findet der Protagonist heraus, dass er seinen „wahren Willen“ erforschen soll – und nicht sich Wünsche erfüllen. Ich hätte „den Willen“, sagte mir F. Doch was das bedeutet, weiß ich nicht. Welchen Sinn das hat. Und was ich damit nun anfangen kann.