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Archiv-Artikel

PKK will einen Monat lang nicht bomben

Unter starkem politischem Druck erklärt die kurdische PKK einen einmonatigen Waffenstillstand und fordert dafür, die türkische Regierung solle den inhaftierten PKK-Chef Abdullah Öcalan als Ansprechpartner akzeptieren. Die Kritik an der PKK wächst

AUS ISTANBUL DILEK ZAPTCIOGLU

Die Kurdische Arbeiterpartei PKK (Kongra-Gel) hat gestern in Brüssel erklärt, dass sie bis zum 20. September auf ihren bewaffneten Kampf verzichten wird, um „dem Frieden eine Chance“ zu geben. Im Gegenzug fordert sie „eine demokratische Lösung der Kurdenfrage“ und vor allem die Anerkennung ihres zu lebenslänglicher Haft verurteilten Chefs Abdullah Öcalan als Ansprechpartner für Ankara.

Die Pressekonferenz allerdings, die der PKK-Chef Zübeyir Aydar gestern im Internationalen Pressezentrum in der belgischen Hauptstadt abhalten wollte, wurde vom belgischen Innenministerium im letzten Moment verboten. Die türkische Regierung hatte interveniert und darauf hingewiesen, dass Aydar per Interpol steckbrieflich gesucht werde. Die belgischen Behörden erklärten, Aydar würde im Falle eines öffentlichen Auftritts verhaftet und in die Schweiz ausgewiesen, wo er Asyl genießt.

Vor etwa zwei Monaten unterzeichneten türkische und kurdische Intellektuelle einen Aufruf, in dem die PKK zum Gewaltverzicht und der Staat zu größeren Reformen in der Kurdenfrage aufgerufen wurden. „Demokratische Reformen und eine Teilamnestie“ forderte der Arzt Gencay Gürsoy im Namen der Unterzeichner, als er mit anderen vor zehn Tagen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Ankara besuchte. Der Premier, der noch vor sechs Monaten die Kurdenfrage als „virtuell“ bezeichnet hatte, sprach bei diesem Anlass erstmals von einem „Kurdenproblem“. Anschließend fuhr er nach Diyarbakir und führte seinen moderaten Diskurs fort: „Ich bin bereit, jeden anzuhören, der mir etwas zu sagen hat, nur muss er auf Gewalt verzichten“, sagte er und: „Die Kurdenfrage geht uns alle an.“ Dabei wolle er „von der Demokratie keine Abstriche“ machen. Gleichwohl war die Reise für ihn ein Schock: Die PKK hatte dafür gesorgt, dass die Kurden den Ministerpräsidenten mit ca. 700 Parteileuten und Polizisten allein ließen.

Das genau kritisiert der linke Intellektuelle Murat Belge, Vorsitzender des Helsinki-Bürgerkomitees in Istanbul: „Die Entwicklungen in der Kurdenfrage stimmen nicht gerade optimistisch, und den schwarzen Peter haben diesmal nicht der Staat und die Regierung, sondern diejenigen, die im Namen der Kurden reden und agieren.“

Zunehmend kritisieren linke und liberale Intellektuelle in der Türkei die Haltung von Leyla Zana und ihren Freunden sowie der Politiker um die Kurdenpartei Dehap herum, die sich erst vor zwei Tagen der „Demokratischen Gesellschaftsbewegung“ Zanas angeschlossen haben. Diese müssten sich unbedingt von der PKK emanzipieren, heißt es, was die PKK offenbar erst recht zu drastischeren Maßnahmen gegen ihre Opposition verleitet. In den letzten Monaten sind mehrere Kurdenpolitiker ermordet worden, darunter der Exparteivorsitzende Hikmet Fidan. Allen gemeinsam ist eine kritische Haltung zu PKK und Öcalan.

Tatsache ist, dass in der Türkei in der Kurdenfrage niemand mehr einen Schritt unternehmen kann, ohne die PKK-Spitze und Abdullah Öcalan zu fragen. Seitdem die Kämpfe im vergangenen Jahr begannen, starben über 150 Menschen. Neue, modernere kurdische Politiker bleiben aus, doch eine Aufwertung Öcalans und seiner Organisation zum Verhandlungspartner ist völlig illusorisch, weil die Mehrheit der Türken das ablehnt.

Auch Erdogan weicht kaum von der Armee oder den Nationalisten ab. Wie Ertugrul Kürkcü von der alternativen Info-Website Bianet sagt, „wird weder Erdogan mit der Armee für die Kurden streiten, noch wird die Armee gegen Erdogan putschen“. Kürkcü denkt, dass Ankara mittelfristig immer mehr Schritte zugunsten der Kurden unternehmen wird, „die diese aber nicht befriedigen und die Ultranationalisten im Land verärgern“ würden: „Wir werden uns mit dieser Frage noch die nächsten hundert Jahre herumschlagen“, prophezeit Kürkcü.

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