PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH : Der Herbst kommt, Frau Blanco geht
Pünktlich zum Jahreszeitwechsel lassen sich alle scheiden. Klar: Wer jetzt zu zweit ist, muss es immer bleiben
Als der Dichter Rainer Maria Rilke 1896 die Blätter des Herbstes „mit verneinender Gebärde“ zu Boden fallen sah, saß weder die NPD im sächsischen Landtag noch konnte er wissen, dass sich Frau Mireille Blanco nach 40 Ehejahren im September 2004 von ihrem Roberto trennen wollte. Aber was ein deutscher Dichter ist, der ahnt eben, dass im Herbst so manches nach unten strebt ins Naßkaltfeuchte, dass die Sozialdemokratie an einem Wendepunkt stehen wird (Christian Morgenstern: „Dies ist des Herbstes leidvoll süße Klarheit“) oder dass Franz Beckenbauer, 59, seine Heidi, 38, nun doch bald heiraten wird (Friedrich Rückert: „Herz, nun so alt und noch immer nicht klug.“) Auch ein Arbeitgeberpräsident wurde seinerzeit im Herbst ermordet (Eduard Mörike: „Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, den blauen Himmel unverstellt.“) Mich persönlich graust es da ein wenig, als ob doch alles schon vorgezeichnet wäre.
Trennen sich jetzt so viele Paare, weil Herbst ist? Oder ist Herbst, weil sich alles scheiden lässt? Der dänische Königssohn Prinz Joachim will auch nichts mehr von seiner Alexandra wissen. Im Dänenreich steht jetzt laut Frau im Spiegel die „erste Scheidung seit 1846“ vor der Tür. Wer sich damals und warum voneinander trennte verschweigt uns das Blatt leider. Effenberg geht, Frau Blanco geht, bei den Beckhams kriselt es. Sollte ich mich einmal scheiden lassen, ich würde es auch im Herbst tun. In dieser regengrauen Zeit ist man sowieso der Meinung, dass früher alles besser war („Der Sommer war sehr groß“) und dass man sich schnell vor dem Winter noch etwas Neues, Warmes suchen sollte („Wer jetzt allein ist, wird es immer bleiben“).
Ehen sind auch nichts anders mehr als Koalitionsregierungen auf Zeit. Man verhandelt am Anfang noch scheinheilig darüber wer das Sagen hat, macht kleine Zugeständnisse und lässt den andern eine wenig mitspielen. Aber nach vier Jahren ist man heilfroh, sich einen neuen Partner suchen zu können. Bleiben tut weh, scheiden schon lange nicht mehr. Insofern war mir Frau Blanco immer Trost und Hoffnung. 40 Jahre lang hat sie ihren Roberto („Ein bisschen Spaß muss sein“) ausgehalten und wenn er aus den fremden Betten zu ihr zurückkam, hat sie gesagt: „Siehst du, zu Hause ist es halt doch am schönsten.“ In einem Interview, in dem sie ihrem braunen Dickerchen sogar ein uneheliches Kind verzieh, sagte sie doch tatsächlich einmal: „Ich bin stolz darauf, dass er immer wieder zu mir zurückkam.“
So eine, dachte ich damals, will ich auch haben und habe sie seither oftmals zitiert. Geht jetzt auch nicht mehr. Wir wissen, wie man heiratet, wir wissen, wie man Kinder tauft und Tote beerdigt. Aber wie man sich trennt, da fehlt uns die Kultur. Mich jedenfalls hat noch niemand zu seinem Scheidungsfest eingeladen, obwohl es doch in vielen Fällen eine freudige Mitteilung ist. Das hätte ich vielen gleich am Anfang sagen können, dass die nicht zueinander passen. Manche merken es eben erst nach einigen Jahren. Doch dann, je länger und je schlimmer, fühlt sich Scheidung an wie Befreiung. Ein Freudentag mit der schönen Aussicht, bei der nächsten wird alles anders. Ein Tag der Hoffnung.
Lieber Jens und liebe Maike, ich gratuliere euch zu eurem Schritt und komme gerne zu eurer Trennungsparty. Den Satz musste ich noch nie auf eine Postkarte schreiben. Stattdessen weiß ich auch nie, was ich sagen soll und stottere peinlich herum: „Und wie geht es Christiane jetzt?“ Oder: „Was wird aus eurer Wohnung?“ Kinder geschiedener Eltern scheinen mir im Übrigen häufig fröhlicher zu sein als Kinder immer zerstrittener Eltern. Und die besseren Dichter sind sie auch. Rilke war ein Scheidungskind.
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