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Archiv-Artikel

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH Willkommen in Europa

Unterwegs im schönsten Land der Welt, mit der tiefsten Schlucht, dem saubersten Wasser …

Ich muss ihn hier Dragan nennen, denn mit seinem richtigen Namen bekäme er sonst Schwierigkeiten. Dragan ist anerkannter Asylbewerber (AA) aus Montenegro, einer von ganz wenigen, denen das Bundesamt für Flüchtlinge in Nürnberg dieses Gütesiegel verpasste. Ich möchte nicht schuld daran sein sein, dass ihm die strenge Behörde dieses Prädikat wieder entzieht. Deshalb Dragan.

Dragan schwärmt mir schon seit drei Jahren von Montenegro vor. Schönstes Land der Welt. Tiefste Schlucht Europas. Sauberstes Wasser auf dem Balkan. Auf meinem Schreibtisch stapelten sich allmählich die Reisprospekte, die Montenegro mal als „Perle am Mittelmeer“ dann wieder als „Träne Europas“ priesen. Die Fotos waren wirklich eindrucksvoll, und so gab ich irgendwann seinem Drängen nach und versprach: „Ja, okay, ich schau mir dein Land mal an, aber nur mit dir zusammen.“

Vor drei Wochen war es so weit. Dragan durfte als anerkannter Flüchtling natürlich nicht offiziell einreisen in das Land, das ihn verfolgte. Das sei aber kein wirkliches Problem für ihn, erklärte er mir: Er überquere die Grenze mit einem Ruderboot von Bosnien aus, und wir träfen uns dann am Flughafen von Podgorica. So heißt die Hauptstadt des jüngsten Staates von Europa, eine gute letzte Frage für „Wer wird Millionär?“.

Dragan stand dann tatsächlich da und winkte.

Fast eine Woche lang fuhren wir durch Montenegro, schönstes Land der Welt, tiefste Schlucht Europas, sauberstes Wasser auf dem Balkan. Wir hatten einen Wagen mit bosnischen Kennzeichen, Dragan besaß keinen Führerschein, fuhr aber sehr professionell. Es war in den Tagen kurz vor dem Referendum, in dem eine knappe Mehrheit der Montenegriner für die Unabhängigkeit abstimmten und überall die Nationalflagge mit einem doppelköpfigen Adler hing, der ängstlich in alle Richtungen blickte.

Den letzten Abend verbrachten wir in einer Diskothek in der Hauptstadt Podgorica, deren Fußgängerzone mir etwas kleiner zu sein schien als die von Metzingen (Württemberg). Die Stimmung am Vorabend der zu erwartenden Unabhängigkeit war ausgelassen, die Mädchen tanzten, die Jungs schauten zu, und aus den Lautsprechern dröhnten montenegrinische Lieder die alle, soweit ich verstand, von der tiefsten Schlucht und dem saubersten Wasser handelten. Dragan und ich tranken viele Gläser Gin Tonic und merkten erst beim Verlassen der Diskothek gegen vier Uhr morgens, dass es wohl zu viele waren.

Dragan fuhr in Richtung unseres Hotels, als uns ein Polizist mit rotem Leuchtstab zum Anhalten aufforderte. „Wo kommt ihr her?“ – „Aus der Diskothek. Es hat meinem deutschen Freund dort sehr gefallen.“ – „Oh, das freut mich. Gefällt ihm Montenegro?“ Dragan übersetzte. „Oh ja, sagte ich. Montenegro ist das schönste Land mit der tiefsten Schlucht und dem saubersten Wasser auf dem Balkan“, lallte ich. Der Polizist war inzwischen neben der herunter gekurbelten Fahrerscheibe in die Knie gegangen und hatte, um sich besser mit uns unterhalten zu können, seinen Leuchtstab Dragan in den Schoß gelegt: „Und wie gefallen deinem deutschen Freund die Mädchen in Montenegro?“ Ich machte eine Geste mit zusammengepressten Daumen, Mittel- und Zeigefinger und sagte: „Sie sind unbeschreiblich schön.“ Der Polizist kramte sein Foto-Handy heraus und zeigte mir das Bild seiner Frau. „Wirklich sehr hübsch“, sagte ich, und Dragan übersetzte. „Es ist nicht die Einzige, die ich habe“, gab der Uniformierte an. An der Küste und im Gebirge habe er noch Freundinnen, die seiner Frau an Form und Farbe in nichts nachstünden. So redeten wir noch eine ganze Weile weiter, ein zweiter Polizist wartete geduldig im Polizeiauto. „Kommt doch öfter hier vorbei“, bat der Polizist, „ich habe fast jede Nacht Schicht an dieser Ausfallstraße“, sagte er. „Machen wir“, lallten wir – der Asylant ohne Ausweise und Führerschein und ich. „Kommt gut heim!“, wünschte uns der Verkehrspolizist, nein, der freundlichste Verkehrspolizist der Welt im schönsten Land der usw. usf.

Fragen zum Balkan? kolumne@taz.de Die nächste Kolumne erscheint am 11. Juli.