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Archiv-Artikel

PHILIPP MAUSSHARDT über KLATSCH Die Sache mit den Musen

Klavierspielen, Schriftstellern, Macht haben – was ein reifer Mann braucht, um bei jüngeren Frauen zu landen

PHILIPP MAUSSHARDT

KLATSCHFragen zu Frauen? kolumne@taz.de Montag: Peter Unfried über seine CHARTS

Ab und zu denke ich an Edgar Hilsenrath. In zwei Wochen wird er 81 Jahre alt, hoffentlich geht es ihm gesundheitlich einigermaßen gut.

Frage ich jüngere Kollegen nach seinem Namen, schütteln sie den Kopf. Hilsenrath? Nie gehört. So, wie ich zurückfrage: „Welches Hotel?“, wenn sie von Tokio Hotel reden.

Man glaubt eben immer, seine Welt sei auch die der anderen, und verwechselt sich dabei oft selbst mit der Welt.

Ein einziges Mal habe ich Hilsenrath in seiner kleinen Mietswohnung in Berlin besucht. Er war damals schon über 70. Meine Freundin begleitete mich und saß schweigend neben mir.

Während wir Kaffee tranken und plauderten, schaute er eigentlich nur sie an. Mich nahm er kaum wahr.

Jutta trug einen Minirock. In Hilsenraths Büchern geht es oft nur um das Eine. Selbst in seinen Büchern über den Holocaust.

Hilsenrath ist Jude und wäre im Ghetto während der Nazizeit fast verhungert, aber uneigentlich ging es ihm immer um Frauen. „Ich war immer ein Junge, der sich sehr für Mädchen interessierte und ich hatte auch … im Ghetto gab es keine und in Israel auch nicht“, sagte Hilsenrath vor zwei Jahren einmal im Fernsehen. Auch Hitler ging es um Frauen. Eva Braun war 23 Jahre jünger, aber er hätte den ganzen Bund Deutscher Mädel haben können, der Idiot.

Allen, na ja, fast allen Männern geht es bei ihrem Tun eigentlich um Frauen. Das Eigentlich ist bei manchen nur von einer sehr dicken Schicht verdeckt, sodass man das Uneigentliche darunter nicht gleich erkennen kann.

Arbeiten, um Geld zu verdienen, um Autos zu kaufen, um Frauen zu beeindrucken. Jürgen Schrempp wurde nur deshalb Vorstandsvorsitzender von Daimler, damit er seine junge Sekretärin heiraten konnte.

Und der alternde Direktor des Züricher Opernhauses, Alexander Pereira, inszeniert nur deshalb noch Opern, weil dadurch die fast 40 Jahre jüngere Brasilianerin Daniela de Susa in seinem Bettchen schläft.

Opern inszenieren hätte er schon lange nicht mehr nötig. Das andere schon. So ist es.

In Hilsenraths kleiner Wohnung lebte damals eine für seine Verhältnisse noch sehr junge Frau, die uns Kaffee kochte und ihm auch sonst behilflich war. Damals dachte ich: Schriftsteller müsste man sein oder Diktator, dann bewundern sie einen bis ins hohe Alter. Die wenigen Schriftsteller, die ich persönlich kannte, hatten jedenfalls alle eine Muse an ihrer Seite.

Der gute Hans Sahl.

Total verliebt war er im zarten Alter von 87 Jahren von New York nach Tübingen gezogen und schrieb Liebesgedichte, obwohl er kaum noch sehen konnte. Frau Sahl war rund 30 Jahre jünger als er und servierte, während er vorlas, Tee auf einem silbernen Tablett. So wollte ich auch einmal alt werden. Auf dem Sofa von Werner Steinberg in Dessau saß ich vor dem Mauerfall häufig. Steinberg, Jahrgang 1913, war als Verfasser von Krimis in der DDR einer der meistgelesenen Schriftsteller.

Während er mir von seinen Manuskripten erzählte, sorgte seine junge Frau dafür, dass ihm der Zigarettennachschub nicht versiegte. Nicht, dass ich diese Arbeitsteilung grundsätzlich gut hieße, aber ein wenig neidisch war ich schon.

„Wir sind die Letzten. Fragt uns aus.“ Eines der schönsten Gedichte von Hans Sahl.

Ich fragte ihn noch vieles, kurz bevor er starb. Nur nicht das eine, das Wichtigste: Wie beeindrucke ich als Tattergreis noch junge Frauen?

Ich könnte Johannes Heesters (101) stattdessen fragen, er lebt noch, und seine Simone Rethel ist 46 Jahre jünger als er. „Man müsste Klavierspielen können“, würde er wahrscheinlich zur Antwort singen.

Er sang es schon 1941, während Hilsenrath zur gleichen Zeit beinahe verhungerte.

Darum werde ich ihn auch nicht fragen.

Sahl starb vor 14, Steinberg vor 15 Jahren, und Hilsenrath, wie gesagt, wird am zweiten April 81 Jahre alt.

Vielleicht fahre ich hin und klingle an seiner Tür.

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