piwik no script img

Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS „Das Beste von Osten / sind die Weiber“

Die Retro-Sommer-Charts: Fußball, Pop, Blowjobs, Frauen, die wie Raketen abgehen – es ist alles desillusionierend

1. Three Lions (1996).

Wegen EM wieder in der heavy rotation: „Football ’s coming home“ (offizieller Titel: Three Lions) von Ian Broudie (Lightning Seeds) und Baddiel/Skinner ist immer noch der schönste Fußballsong aller Zeiten. Vordergründig eine selbstironische Verarbeitung des Schmerzes über das Versagen des englischen Fußballs. In Wahrheit transportiert der Song wie auch der Fußball in diesen Tagen wieder mal viel mehr.

Die Sehnsucht, die der Mensch in den Fußball projiziert, ist die Sehnsucht, die er in den Pop projiziert, ist die Sehnsucht, die er in den Sex projiziert. „Three Lions“ ist eine Vereinigung von Fußball, Pop und Sex, eine – vgl. Arno Schmidt: „Zur angelsächsischen Popmusik“ – Drei-Minuten-Nummer, ein musikalisch-fußballerisches Zurammeln auf das, worauf man halt so zurammelt.

„It’s coming, it’s coming, it’s coming.“

Und dann kommt es. „England has done it“, jubiliert die Stimme des englischen Fernsehkommentators. „In the last minute of extra-time!“ Uff. Grade noch. Dann schwingt „Three Lions“ sanft aus und verebbt. Aber dann ist da auch schon wieder diese seltsame Sehnsucht. Und dann die Sorge, es nicht zu bringen („We’re not creative enough, we’re not positive enough“), die Angst, den WM-Titel 1966 (die eigene Geburt?) niemals wiederholen zu können, sein Leben ins Nichts zu werfen („England ’s gonna blow it away“). Sehr desillusionierend. Damit man jetzt nicht weinen muss: schnell ein weiteres Mal durchstarten.

2. Summer of ’69 (1983).

Es war mir schrecklich peinlich, als ich vor einigen Wochen erfuhr, dass es in Bryan Adams gefürchtetem Klassiker „Summer of ’69“ gar nicht um den Sommer von 1969 geht.

Sondern um den Sommer des Oralsex. Peinlich nicht wegen dieser grade in Nordamerika ja doch sehr verbreiteten kulturellen Gepflogenheit.

Peinlich, weil ich den Song etwa eine Million Mal gehört hatte. Und da nie im Leben drauf gekommen wäre. Ist aber so: „Was die Leute nie kapiert haben“, zitiert der Rolling Stone Adams, „dass der Song nicht von 1969 handelt.“ Also nochmal anhören. Wir waren jung, wir mussten Zeit totschlagen, das waren die besten Tage meines Lebens, singt er in der ersten Strophe. In der zweiten ist dann aber alles auch schon wieder vorbei. Arbeit, erwachsen sein. Jimmy hat aufgehört, Jody hat geheiratet, und auch Bryan hat jetzt einen „job to do“ und keinen blowjob mehr to get. Sehr desillusionierend.

3. Das Beste von Osten (1999).

Ein Song der Kölner Band Erdmöbel. Neu interpretiert auf dem Live-Album „Fotoalbum“ (gibt’s nur bei erdmöbel.de).

Das Beste von Osten /

sind immer noch die Weiber.“

Eigentlich logisch. Gilt ja für alle Himmelsrichtungen. Dennoch eine verstörende Zeile für jeden ahnungslosen, prä- bzw. postpotenten Westdeutschen. Ich fragte einen Experten. Ja: Ostfrauen wuchsen einfacher und unverklemmter auf, seien weniger verzogen und etepetete – und gingen deshalb in Partnerschaft und Bett ab wie Raketen. Super.

Das klang interessant.

Ich rief Markus Berges an, den Sänger und Lyriker von Erdmöbel. Fragte ihn, ob er die Behauptung verifizieren könne. Nein. Im Gegenteil. „Ich würde das nicht sagen und glaube, es auch nicht zu denken.“ Es gebe auch „nichts Biografisches“. Letztlich handelt es sich in dem Song nicht um eine Ostdeutsche, sondern um eine osteuropäische Sängerin. Die Behauptung macht auch gar nicht der Sänger. Er legt sie in den Mund von Handelsreisenden, die ihr sabbernd zukucken. Das Ende ist geschlechterübergreifend pessimistisch: Hätte man die Ostfrau als regelmäßige Partnerin, heißt es, wäre der Lack schnell ab und „ihr Busen nicht wie Schnee, höchstens so wie die Klos im Café.“ Uncharmant, sehr desillusionierend.

4. Back in the USSR (1967).

„The Ukraine Girls really knock me out / they leave the West behind.“ War eine naive McCartney-Utopie. Vor Friedman. Jetzt tabu.

Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Fragen zu Ost-Frauen? kolumne@taz.de Morgen: Jenni Zylka PEST & CHOLERA