piwik no script img

Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS Die Teufel vom „Parking Service“

Kalifornisches Tagebuch (II): Eine nette, ältere Frau huscht durch die Innenstadt von Santa Cruz. Sie kriegt jeden

Santa Cruz, Kalifornien. Dass Amerikaner anders sind als Europäer, sagte mir ein Deutscher, habe er spätestens gewusst, als seine Silvester-Gäste um zehn plötzlich nach Hause gegangen seien. Es habe ihn viele Jahre gekostet, ein paar Kalifornier so zu erziehen, dass sie bei einer Einladung nicht mehr sofort nach dem Essen abhauen. „Die wissen jetzt, dass man bei uns noch ein paar Flaschen Wein trinken muss“, sagt er. Auch das ist ein Grund dafür, warum Europäer in Santa Cruz zusammenklucken. Auch hier ist die Basis derselben (englischen) Sprache noch lange keine Voraussetzung für die Vermeidung von Missverständnissen, sondern die Grundlage für ihr Entstehen. Und auch die Hoffnung relativiert sich, man habe immerhin eine gemeinsame, wenn auch Coca-Cola-Kultur. Kinofilme, Fernsehsendungen, Bücher bekommen eine ganz andere Bedeutung, wenn man sie unter dem direkten Eindruck von Amerika zu dechriffieren versucht. Das ist jetzt keine wirkliche Überraschung, aber man spürt und begreift plötzlich, dass Amerika eigentlich immer nur über Amerika redet.

*

Santa Cruz ist ein liberales Paradies. Vergleichsweise. Heißt es. Doch es hat eine fast schon beängstigende Intensität, wie man in diesem Paradies beschützt wird. Unsere Privatstatistik sagt: Man kommt keine zwei Straßen weit, ohne nicht mindestens vier Polizisten gesehen zu haben. Und man kann sein Auto keine Minute an einer abgelaufenen Parkuhr stehen lassen, schon sind die Teufel vom „Parking Service“ da. „Service“ heißt, dass man 20 Dollar zahlen muss. Das ist derzeit im Land der Euphemismen mein Lieblingseuphemismus. Knapp noch vor Präsident Bushs Bildungsabbauprogramm „No child left behind“, dem Umweltvernichtungsprogramm „Clean Air“ und seiner Irak-Unterdrückungsparole „Let Freedom reign“.

Es gibt da eine omnipräsente, nette, ältere Frau, die zu jeder Tages- und Nachtzeit durch die Innenstadt huscht. Sie kriegt jeden. Die Parkuhr bis zwei Minuten vor acht mit Geld füttern, wenn sie offiziell bis acht gefüttert werden muss? So was würde nur jemand von einem anderen Stern machen – oder ich. Sich auf einen Parkplatz stellen, auf dem ein Schild „ 2 Stunden kostenloses Parken“ erlaubt. Und dann denken: Haha, wie soll die Alte sich merken, wie lange da ein Auto steht?

Tja. Sie merkt es sich gar nicht. Sie kommt und markiert einen Hinterreifen mit Kreide. Und dann kommt sie exakt 121 Minuten später wieder. Und wer dann hinten Kreide am Reifen hat, ist 20 Dollar los. Pro Monat werden die Alte und ihre Helfershelfer über 4.000 Tickets los. Macht eine Million Dollar Bruttoeinnahme pro Jahr.

Letzte Woche gab es freilich einen echten Miniskandal. Weil sie ihr sauberes Geschäft auch am Montag betrieb – das war eine Art Feiertag, weil der 4. Juli, der Unabhängigkeitstag, auf den Sonntag gefallen war. Feiertags muss man die Parkuhr nicht füttern. Sagte die Stadt: Ja, Montag war ja kein richtiger Feiertag. Aber ihr „Parking Office“, wo man seine Strafzettel bezahlt, war geschlossen. Wegen Feiertags. Selbst der stramm konservative Santa Cruz Sentinel sah da einen historischen Widerspruch: „War es nicht diese Art bürokratischen Denkens“, fragte der Leitartikel, „der überhaupt zur Revolution geführt hat“ – und damit zum Unabhängigkeitstag? Mag sein. Extraeinnahmen an diesem Feiertag: 30.000 Dollar.

*

Neulich kaufte ich im (linken) Book Shop ein (linkes) Magazin namens Mother Jones. Das übrigens mal Michael Moore als Chefredakteur rauswarf. Coverstory: „Der Falsche Krieg“. Die Verkäuferin gratulierte zum Kauf und fragte freundlich: „Sind Sie auch so wütend?“. Ich, vorsichtig: „Ach nee, eigentlich nicht.“ Darauf sie, freundlich, aber bestimmt: „Es ist okay, wütend zu sein.“ Vor dem Del Mar auf der Pacific Avenue sind die Schlangen für Moores „Fahrenheit 9/11“ kleiner geworden. Aber das dort stationierte „Komitee zur Abwahl von Bush“ geht jeden Tag weiter fleißig seiner Arbeit nach. Vielleicht sollte ich doch einen „I hate Bush“-Sticker tragen.

Fragen zum Service? kolumne@taz.de Dienstag: Jenni Zylka PEST & CHOLERA