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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS To Sarah With Love

Das Wahlkampf-Tagebuch (V): Sarah Connor – tragischer Einzelfall oder exemplarisch für die Zukunft dieses Landes?

Während es unmöglich ist, mir ein besseres Leben mit Angela Merkel vorzustellen, denke ich ernsthaft über Sarah Connor nach. (Connor, das für Laien, ist eine schwer erfolgreiche Popsängerin, die derzeit bei Pro7 in einer Art Dokusoap Ausschnitte ihres Privat- und Familienlebens vorspielt). Mit ihr exerziert Springer längst durch, was mit der Übernahme von ProSiebenSat.1 Standard werden wird: die totale Cross-Vermarktung von Menschen und Oberflächenthemen in Wort- und Bildmedien.

Davon mal abgesehen, haben wir im Männerklub grade mal wieder über Connor geredet. Es hieß, dass sie ja gar nicht gehe, weil sie ordinär sei, intellektuell uninteressant, demnächst im Otto-Katalog und überhaupt. („überhaupt“, das für Frauen, meint die sexuelle Attraktivität). Seitdem sinniere ich bei der stundenlangen Videoanalyse von „Sarah & Marc in Love“: Stimmt das?

Also: Connor ist 25 und lebt derzeit in Wildeshausen bei Delmenhorst bei Bremen. Im engeren Sinne mit Mann Marc Terenzi und Sohn Tyler, im weiteren unter starkem Einbezug von Mutter, Vater, fünf Geschwistern und einer Fernsehcrew. Der Ehemann ist US-Bürger. Der Vater kommt sogar aus New Orleans. Sie selbst ist bilingual. Gern sagt sie so was wie: „What the hell is that“ (Englisch) oder „Halloooh, häh“ (Deutsch) oder „Ach, fuck!“ (Deutsch-Englisch). Dass sie ihren Haare sehr blond färbt, ist kein Zugeständnis an den Massengeschmack, sondern liegt in der Familie. Connors Situation ist nicht einfach: Vor allem ist da ihre so genannte Traumhochzeit vorzubereiten. Wie es sich gehört, nervt die Mutter (namens Soraya). Und dann hat sie noch ein Flacharschproblem (was man, das für Männer, nicht unterschätzen sollte).

Also, man sieht schon, wie einfach es wird, sich als Halbgebildeter über Connor lustig zu machen und eine Familie, die jenseits ökonomischer Zwänge den White-Trash-Traum lebt. Aber man kann auch anders probieren. Connor wäre demnach eine junge, globalisierte Deutsche, die, ganz im Sinne sämtlicher demokratischer Parteien (außer Linkspartei), Verantwortung übernommen hat für ein erfolgreiches Leben jenseits überkommener Vorstellungen von Arbeitsverhältnissen und totaler Absicherung durch einen Staat. Bildungsmisere, Arbeitslosigkeit, Zukunftsängste? Mutig hat die Schülerin Sarah Lewe nach der 12. Klasse die Schule abgebrochen, um sich selbst zu verwirklichen (Erbe von 1968?), aber auch mit geradezu vorbildlicher neokonservativer Flexibilität die Marke Sarah Connor zu platzieren, nachdem ihr erstes Unternehmen („Sarah Gray“) am Markt nicht nachgefragt wurde. Sie ist sicher keine Weltbürgerin im klassischen Sinne. Aber sie spricht mehrere Sprachen, hat andere Kulturen in ihr Leben integriert, kann in Delmenhorst leben oder in Orlando, Florida. Die Familie ist ihr wichtigster Wert (vor Karriere). Dabei ist sie beruflich erfolgreicher und verdient sicher mehr als ihr Mann. Sie steht auf Treue, Hochzeit und Fesselsex, wie aus der Sekundärliteratur zum Tonträger „Heat Between The Sheets“ (Hitze zwischen den Bettlaken) hervorgeht.

Letzte Woche kam ihr kleiner Bruder (17) und sagte, er wolle auch die Schule abbrechen, Tänzer werden. Connor war entsetzt: „Die Schule ist das Wichtigste.“ Sagte sie wirklich.

Er: „Du sprichst ja wie Mama.“

Connor: „Ich muss üben für Tyler.“

Das war so unironisch wie ihr positives Lebensmotto („Die Zukunft ist, was man selbst draus macht“), das man auch als Absage an das Solidarmodell interpretieren kann, weil es ohne die Voraussetzung der Chancengleichheit auskommt.

Wir müssen dringend klären: Ist Connor nur ein nicht zu verallgemeinernder Einzelfall – oder ergeben sich aus der Betrachtung ihres Lebens und Wirkens Aufschlüsse über Gegenwart und Zukunft dieses Landes, die weit über den Erkenntniswert einer Linkspartei-Pressekonferenz, einer Angela-Merkel-Projektion in der Zeit oder gar eines Wowereit-Interviews hinausgehen? Und vor allem: Meint sie mit ihrem Hit „From Sarah With Love“ mich?

Verliebt in Sarah? kolumne@taz.de Morgen: Bernhard Pötter über KINDER