PETER UNFRIED über CHARTS : Weckt mich auf!
George Michael und sein gescheiterter Versuch des Erwachsenen-Pop: Eine Verabschiedung – mit einem Zugeständnis: der alte Wham-Burner „Last Christmas“ ist gesellschaftlich rehabilitiert
Seltsam, aber jedes Jahr wird „Last Christmas“ von Wham besser. In den Achtzigern waren ja sowohl Wham als auch Weihnachtssongs (außer Lennons „Merry Christmas“) in unserer Gesellschaft streng geächtet. „Last Christmas“ aber war der Teufel oder in unserer damaligen Sprache: soziokulturelles und semiotisches No-go-Territorium.
Und heute lege ich das Ding von Weihnachten bis Neujahr auf und tanze mit seligem Idiotengrinsen vor dahergelaufenen Gästen. „Last Christmas/I gave you my heart / but the very next day / you gave it away“. Der Text! Die Drum-Maschine! Die Keyboards! Die Melodie. Auch war mir zu Zeiten des kalten Kulturkriegs gar nicht aufgefallen, wie ironisch das Video ist, in dem George Michael und Andrew Ridgeley beim Christmaswoche-auf-der-Alpen-Hütte-Verbringen um diese süße Zuckerschnecke konkurrieren.
Gerade ist ein Dokumentarfilm über Michael angelaufen bzw. läuft noch an: „George Michael – A Different Story“. Ein Muss für Oberflächenkratzer. Markiert Michaels Abschied vom Pop. Da sieht man, dass neben dem Badboy-Quatsch und dem Schwulen auch Ironie ein Teil des Proll-Pakets Wham war.
Von heute aus betrachtet, muss man sagen: George Michael hat mit oder besser als Wham in vier Jahren (1982–86) ein großes Album („Make It Big“) und einige Popsongs gemacht, die zum Kanon der Gegenwartsmusik gehören: „Wake me up before you go go“, „Freedom“, „Careless Whisper“ und evtl. auch „I’m your man“. Gleiches gilt für sein offizielles Solodebüt „Faith“ (1987) und dessen Titelsong sowie „I Want Your Sex“.
George Michael war 23, als er ökonomisch und unter Gesichtspunkten des globalen Erfolgs „alles“ erreicht hatte. Danach konzentrierte er sich erstens auf sich selbst. Zweitens wollte er „ernst“ genommen werden. Im Ergebnis wurde er erstens selbstreferenziell. Und zweitens belanglos. Die ersten beiden Albumtitel („Faith“ – „Listen without Prejudice“ von 1999) waren Aufrufe an Erwachsene, ihn jenseits von Wham neu zu verorten. Die nächsten beiden („Older“ von 1996 – „Patience“ von 2004) thematisierten wichtigpopichtig die Zeitspannen zwischen seinen Arbeitsergebnissen.
Wie deutet man den Sohn eines griechisch-zypriotischen Einwanderers, der in einem Vorort von Watford ein Restaurant betreibt? Einiges klingt wie aus der Klippschule der Stereotype: Ein schwuler, arbeitsloser Migrant aus dem Kleinbürgertum, dessen Wille zum Aufstieg ihn ganz nach oben bringt – jenseits der gesellschaftspolitischen Realität. Am Ende hat er Geld, Ruhm und einen anständigen Haarschnitt. Bitte, es geht doch. Happy ending? Na ja, nicht ganz.
Der erwachsene Michael macht – neben der Verarbeitung seiner Trauer um den Geliebten und die Mutter – bürgerlichen Pop für die gebildete, kapitalismus- und konsumbereite Mittelschicht. Es werden keine „Verhältnisse“ bekämpft, nicht mal mehr Eltern. Michael ist Lichtjahre entfernt von einem Rebellen- oder Gegenkultur-Anspruch. Das spricht für ihn. Jener hätte zu diesem Zeitpunkt längst als Illusion entlarvt sein müssen, da sich Kurt Cobain mit Hilfe einer Schrotflinte eben noch als finale Lüge des Rock ’n’ Roll verewigte.
Zweitens aber tauscht Michael grade um diese Zeit seine Karriere und Millionen verkaufter Platten gegen einen Rechtsstreit mit seiner Plattenfirma Sony. Er will nur seine Ruhe, und ein bisserl Hybris ist auch dabei, aber: Eigentlich lehnt er sich damit gegen Amerika auf und dessen First Amendment of Capitalism. Wer 15 Millionen Platten verkauft hat, kann beim nächsten Mal nicht sagen, mir reichen 3 Millionen. Michael tut es. Und das macht den Rest zu Randnotizen, auch seine an der Oberfläche am besten erinnerten Szene: Als er 1999 doch noch aus dem Klosett kommt, und zwar aus einem öffentlichen und in Handschellen des L.A.P.D.
Während ich dies schreibe, läuft „Patience“ vor sich hin, und das bringt mich zu meinem Fazit: In seinem „manisch-perfektionistischen“ (Rock-Lexikon) Streben nach Qualitäts-Soulpop, nach E-, also Erwachsener Musik und nach Eigenem, hat George Michael das Wichtigste aufgegeben: sein wahres Talent. Für Pop. Fürs Klauen.
Mag sein, dass es an seinem eigenen Unglück lag oder ihm zu „billig“ geworden war oder zu „weiß“: Jedenfalls hat er das Spielerische geopfert, die Ironie und vor allem die Melodie, die hookline. Und damit alles, was glücklich machen kann.
„Heal the Pain“ mal außen vor, hat er seit über fünfzehn Jahren praktisch nur noch Musik gemacht, die man als Hintergrund zum Ficken auflegt. Das Zeug spielt elegant und wohl produziert und ambitioniert vor sich hin, verströmt Geschmack wie ein teures Sofa – aber aufregend ist das alles nicht. Ist das die Aussage, die George Michael (42) über das triste Restleben von uns Mittelalten machen kann und will? Ist guter Erwachsenen-Pop solch ein Widerspruch in sich, dass man ihn nicht mal anständig faken kann wie einen Orgasmus?
Haben wir Alten nicht mal mehr das Recht auf eine Melodie und ein bisschen Heartbeat; bleibt uns nur Wham?
Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Fragen zu George Michael? kolumne@taz.de Unten: Bettina Gaus über FERNSEHEN