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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED über CHARTS Wovor hat Deutschland Angst?

Go, Klinsi, go: Wer glaubt, Wörns könne das Schlimmste verhindern, hat vermutlich auch SPD gewählt

Als die Anhänger des Major-League-Soccer-Klubs San Jose Earthquakes vor wenigen Tagen auf die Homepage ihres Teams klickten, fanden sie eine knappe Mitteilung. Dear Earthquakes-Fans, hieß es, und dass die Earthquakes ab sofort „1836“ hießen. Und zwar Houston 1836. Der Umzug nach Texas sei „effective immediately“. Zack, weg. Der Erstliga-Fußball war über Nacht aus der Bay Area verschwunden.

Das, liebe Leute, ist Amerika. Das ist Fortschrittsglaube. Also Glaube an den Markt. Das ist Kalifornien.

Dies als Information für all jene, die sich in diesen Tagen auch und besonders sorgen, dass der Fußballbundestrainer Jürgen Klinsmann Deutschland kalifornisieren wolle, nur weil er ab und an künstlich lächelt, kalifornische Fitness-Trainer beschäftigt und in optimistischen Formeln spricht. You ain’t seen nothing yet!

Schon die Verabschiedung des Torwarttrainers Sepp Maier war eine Reform, die die Nation beunruhigte. Ob oder dass Maier eine Knallnase ist, war kaum Gegenstand der Diskussion. Er war vorher da, und danach nicht mehr, das war das Problem. Wo kommt man denn da hin, wenn man in Deutschland anfängt, unfähige und/oder quer treibende Mitarbeiter rauszuschmeißen statt sie einfach besser zu motivieren („Heute hast du wieder prima dilettiert und quer getrieben, Sepp!“).

Interessanterweise wird selbst von manchen Detail- oder Stil-Kritikern (Motto: Aber doch nicht sooo!) gerne konzediert, Klinsmanns Reformen seien (im Gegensatz zu denen von Rot-Grün) tatsächlich „alternativlos“. Das stimmt selbstverständlich nicht. Man hätte auch beim Verbandsfußball alles weiterlaufen lassen können, wie man es nach dem letzten WM-Titel von 1990 bis Sommer 2004 tat. Der Abstand zur Weltspitze wurde halt nur immer größer. Wie anderswo auch. Was die einen fasziniert, die anderen erschreckt, ist, dass Klinsmann weiß, was er will. Schlimmer: Er hat einen Plan. Verkürzt gesagt hat er angesichts der eher mäßigen Qualität der Spieler einen hohen Anspruch formuliert (Weltmeister werden) und damit eine Blase aufgepumpt. Er hat ein neues, riskantes System gewählt, um in der Blase zu wachsen und sie am Ende möglichst auszufüllen und den Anspruch annähernd erfüllen zu können. Den Spielern hat er gesagt, dass sie gut genug sind, um in dem System als Team konkurrenzfähig zu sein. Das Italien-Spiel hat das Gegenteil gezeigt, klar. Aber das ist kein neues Problem, sondern bestätigt nur das vorhandene. Womit es drei Möglichkeiten gibt: Man probiert es weiter. Oder man sagt, man habe es ja gleich gewusst, dass in diesem Land nichts mehr gehe. Oder warnt gar davor, dass es vielleicht noch schlechter werde, wenn man das falsche Neue probiere.

Für dieses Angsthasentum steht die Diskussion um den Innenverteidiger Christian Wörns. Wer ernsthaft glaubt, Wörns könne das Schlimmste verhindern, hat vermutlich auch bei der Bundestagswahl SPD gewählt und hofft jetzt auf Müntefering.

Es geht nicht darum, das Schlimmste zu verhindern, es geht darum, das Beste daraus zu machen. An so einem kalifornischen Schrottsatz sieht man schon, wie verdammt schwierig positive thinking ist.

Ich versuche es anders. Leute: Berti hat 1998 Lothar Matthäus hinten reingestellt, weil er Angst hatte. Ribbeck hat 2000 Matthäus hinten reingestellt, weil er nur noch Angst hatte. Völler hatte 2002 Kahn, aber 2004 auch nur noch Angst. Es nützte nicht mal mehr was, dass Matthäus endlich zurückgetreten war. Und nun? Es gibt sicher einiges zu verteidigen in diesem Land, und bestimmt findet sich auch einer, der unseren Grundanspruch auf Angst verteidigt.

Aber dazu den Fußball missbrauchen? Es geht hier nicht um Klinsmann. Die neuerdings fußballaffine, kreative Mittelschicht hat die Chance und die verdammte Pflicht, einen neuen Fußballdiskurs zu entwickeln, der den Unterhaltungsfaktor, die German Angst – und auch die Realität – überwindet und die Möglichkeiten dieses fantastischen Spiels be- und ergreift.

Verändern wir unsere kleinmütige Fußballrezeption, verändern wir den Fußball. Und damit Deutschland. Keine Angst, das wird super.

Have a wonderful day.

Die Charts im März

Pop: „California Dreaming“ (The Mamas and the Papas)

Buch: „Gebrauchsanweisung für Kalifornien“ – Heinrich Wefing (Piper)

Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Fragen zu Kalifornien? kolumne@taz.de MORGEN: Arno Frank über GESCHÖPFE