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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS Die Würstchen-Vegetarierin

Meine Tochter isst keine Schnecken, keinen Fisch, kein Fleisch – nur Würstchen. Welche Ernährungstipps sie für Barack Obama und sein Amerika hat – und was passiert, wenn ich am Esstisch aus Versehen „Zebra“ sage

Am Telefon informierte mich Penelope darüber, dass sie jetzt eine „Biss“-Umhängetasche habe. Trotzdem vermisse sie ihre „Biss“-Bücher. Außerdem müsse sie Schnecken essen.

Ich habe mich mühsam daran gewöhnt, dass Zehnjährige schlechte Vampir-Romane lesen. Statt Simmel, wie ich früher. Aber Schnecken essen? Kann man diese Leute keine Woche bei den Großeltern lassen, ohne dass die Hütte brennt? „Gib mir sofort die Oma, Penelope“, schnarrte ich.

„War ein Witz, Pezi“, kicherte sie. „Ich esse keine Schnecken. Nur Käfer und Fische.“

Es stellte sich heraus, dass die Gefriertruhe von Oma kaputt war. Sie mussten in die Stadt. Oh, Gott. So eine Gelegenheit lassen die Kinder nicht aus. Sie leierten dem Opa ein neues Computerspiel aus dem Kreuz. Jeder eins, versteht sich. Ich rief ihn an. Er keuchte: „Neinzig Eiro.“ Ich stöhnte siebenmal danke. Er ist Schwabe. Das ist kein Klischee, das ist so. Mir tat es sogar weh, obwohl ich nicht bezahlt hatte.Penelopes Spiel heißt „Die Sims 2: Gestrandet.“ Es geht darum, dass die Sims auf einer einsamen Insel stranden und Nahrung finden müssen, um zu überleben. Schnecken, Fische, Käfer. „Die Sims“, das ist das Nintendospiel überhaupt. Kennt jeder. Jetzt sogar ich. Damit war das geklärt.

Ich finde es interessant, dass Penelope Käfer und Fische in einem Satz nennt. Weil das für sie das Gleiche ist. Beides Tiere, beides unmöglich zu essen.

Penelope ist nämlich überzeugte Würstchen-Vegetarierin. Das war sie praktisch von Geburt an. Würstchen sind für sie keine Tiere. Ansonsten isst sie kein Fleisch, keine Wurst und überhaupt keinen Fisch. Ihr kleiner Bruder ist auch Vegetarier. Nicht mal Würstchen, nichts. Sonst hält sie ihn für ziemlich daneben, aber in dieser Frage hat er Penelopes Respekt.

Die Kinder machen das weder aus gesundheitlichen Erwägungen noch aus Ablehnung der Massentierhaltung, des absurd hohen Verbrauchs von Ackerflächen für Tierfutter oder der extremen Auswirkungen der Tierindustrie auf die Erderwärmung. Es hat ihnen nie jemand gesagt, dass sie fleischlos leben können, sollen oder müssen. Es ist kein Verzicht für sie. Im Gegenteil. Es ist ihre Kultur. Sie genießen es.

Deshalb findet Penelope es auch ein bisschen lächerlich, dass Paul McCartney die Aktion „Fleischfreier Montag“ gestartet und dabei auch Barack Obama aufgefordert hat, den Montag im Weißen Haus fleischfrei zu machen. Ich hatte gedacht: Macht der zwar nie, aber gute Idee. Sie dagegen kiekste: „Den ganzen Montag?“ Kinder können schon ganz schön ironisch sein.

Nach der ganzen Aufregung erwartet sie anderes von Obama. „Ich finde, er sollte jeden zweiten Tag fleischfrei machen.“ Und zwar in ganz Amerika. Das meint sie ernst. Manchmal habe ich den Eindruck: Würde Penelope Fleisch essen, müsste sie ihren Lebensstil einschränken und würde ihre Hochkultur beschädigen. Dann wäre sie so was wie … ich.

Wissen Sie eigentlich, wie das ist, wenn ich bei Tisch mal ein Schnitzel essen will, ausnahmsweise? Ich muss mit Töpfen und Flaschen einen Sichtschutz um den Teller bauen. Das ist Penelopes erste Tischregel. Wehe, man sieht noch was. Und Tiere dürfen beim Abendessen nie, nie, nie erwähnt werden. Das ist ihre zweite Tischregel.

Einmal sagte ich aus Versehen „Zebra“. Penelope spuckte auf ihre Nudeln. Das sollte mir eine Lehre sein. War es auch.

■ Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber