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Archiv-Artikel

PETER UNFRIED NEUE ÖKOS „Warum sind wir nicht reich?“

Meine Tochter wundert sich über unsere Armut. Dabei hat sie doch selbst 900 Euro gehortet

Ich hatte Penelope und Adorno im zweiten Stock von Peek & Cloppenburg zwischengelagert, um weiter oben in den heruntergesetzten Boss-Anzügen zu wühlen. Selbstverständlich ohne einen zu kaufen. Als ich zurückkam, lungerten die Kinder neben der Kasse herum.

„Duhu“, sagte Penelope, „weißt du was?“ – „Ne. Was?“

„Schade, dass wir nicht reich sind.“

Oh, Gott. „Wie kommst du drauf?“

Jemand, eine Frau, habe gerade 500 Euro bezahlt. Für ein ziemlich kleines Kleidungsstück. Praktisch nichts. Das gefiel ihr. Das könnten wir ja wohl nicht. Manchmal finde ich es auch schade, dass wir nicht materiell reich geworden sind. Und nur spirituell reich. Wenn ich an die ganzen Vorteile denke. Ich riss mich zusammen und sagte: „Ich fühle mich total reich.“

„Soso“, murmelte Penelope.

Bitte: Als ich elf war, lebte ich in einer Ein-Rädchen-Wurst-Familie. Bei uns durfte auf eine Brothälfte maximal eine Salamischeibe. Heute könnte ich locker auch zwei Scheiben drauftun. Wenn ich nicht auf eine konditioniert wäre. Die Kinder könnten es auch. Wenn sie Wurst essen würden. Das sagte ich ihr und dass die Menschen, die in den wohlhabenden Ländern lebten, die reichsten und gesündesten von allen Menschen seien, die jemals auf diesem Planeten gelebt hätten.

„Eben“, sagte Penelope. In der Schule habe sie erfahren, dass 11 Millionen Menschen Millionäre seien. Nur wir nicht. Ich sagte lahm, dass ich so oder so keine 500 Euro für ein sehr kleines Kleidungsstück ausgeben wollte, selbst wenn ich das Geld haben sollte.

„Pffff“, brummte Penelope und drehte Richtung Rolltreppe ab.

„Kauf dir dein Kleid doch selbst“, rief ich ihr hinterher.

Ich weiß genau, dass sie das nicht will. Sie sitzt auf ihrem Geld. Dabei hat sie nach Einschätzung aller anderen Familienmitgliedern bestimmt an die 900 Euro in einer rosa Kassette gehortet, deren Schlüssel an einem geheimen Platz liegt. Ihr Plan ist, ihr Geld erst auszugeben, wenn sie mal so viel hat wie Angelina Jolie. Bis dahin will sie unser Geld ausgeben.

„Was willst du denn mit deinem ganzen Geld in der rosa Kassette?“

„Ich will das Geld behalten, weil ich sonst keins mehr habe“, rief sie mir von der Mitte der Rolltreppe aus zu. Dann war sie weg, so dass ich sie leider nicht mehr darauf hinweisen konnte, dass das letzte Hemd keine Taschen hat. Ich behauptete dann gegenüber Adorno, dass Reichtum allein nichts wert sei und erst zähle, wenn sein Einsatz konstruktive Auswirkungen auf die Gemeinschaft habe.

„Du weißt ja, was Aristoteles sagt“, sagte ich fies. Er wusste es nicht. Aber ich hatte es gerade zufällig irgendwo gelesen.

„Aristoteles sagt: Vermögen besitzt nur, wer es in Gebrauch nimmt“.

Adorno horchte auf. „Dann kauf mir einen Jabulani“, sagte er, die WM-Bälle im Blick.

Ich weiß jetzt nicht, ob ich damit im aristotelischen Sinne Verantwortung für die Gesellschaft übernommen habe. Was ich aber sicher weiß: dass ich mir wochenlang Ärger eingehandelt hätte, wenn ich ihm den blöden Ball nicht endlich gekauft hätte.

■ Der Autor ist taz-Chefreporter Foto: Anja Weber