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PERSPEKTIVENDie Tugend der Langsamkeit

■ Madrid kann nur der Auftakt zu einem schwierigen Friedensprozeß sein

Der ehemalige ägyptische Präsident Anwar el-Sadat hat einmal gesagt, es sei ein schöner — aber unrealistischer — Traum, sich vorzustellen, daß Golda Meir zum Einkaufen nach Kairo fährt. Es bleibe späteren Generationen vorbehalten, solche Träume Wirklichkeit werden zu lassen: Was er 1978 mit der Unterzeichnung des Camp-David-Abkommens, des Separatfriedens mit Israel, unternommen habe, sei nur ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung.

Es gibt viele Gründe, warum das Camp-David-Abkommen den Weg in diese Richtung nicht öffnete. Dazu zählt die Weigerung der damaligen israelischen Regierung, über einen Rückzug aus den besetzten Gebieten zu verhandeln, ebenso wie die Politik der Carter-Administration, die sich mit der Unterzeichnung des Abkommens zufriedengab und nicht den langen Atmen hatte, der notwendig gewesen wäre, um den Separatfrieden von 1978 in einen regionalen Friedensprozeß zu verwandeln. Das aber war die ursprüngliche Intention von Camp David. Sie scheiterte an den Fehlern und Blockaden der Beteiligten, jedoch auch der internationalen Konstellation: am Kalten Kriege, der Rivalität der Supermächte in der Region, und damit an einem Faktor, der heute nicht mehr gegeben ist. Wenn am Mittwoch in Madrid die Eröffnungsrunde des projektierten Friedensprozesses im Nahen Osten zusammentritt, besteht daher eine neue Chance.

Ein erster, positiver Schritt

In Madrid geht es nicht um eine schnelle „Lösung“ — es geht um erste Schritte. Daß es überhaupt so weit kam, ist den langwierigen Bemühungen, dem persönlichen Engagement von James Baker zu verdanken. Nach 43jährigem Kriegszustand sitzen alte Feinde nun zum ersten Mal an einem Tisch. Noch sind sie verbittert, Gefangene ihrer jeweiligen Erfahrungen und Geschichte, der Gewalt und gegenseitigen Verachtung. Allein das Zustandekommen der Konferenz ist ein positiver und großer Schritt — nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Vor übertriebenen Hoffnungen ist wiederholt gewarnt worden, auch von Baker selbst. Von der Eröffnungsrunde sind keine konkreten Ergebnisse zu erwarten. Zunächst werden in Madrid Fensterreden gehalten werden, Reden an die Adresse der jeweiligen Öffentlichkeiten in den einzelnen Ländern, Maximalforderungen gestellt und die Politik der anderen Seite denunziert werden. Erst in den darauffolgenden bilateralen Gesprächen und dann, während der geplanten, aber noch nicht sicheren dritten Etappe des Friedensprozesses, der Regionalkonferenz, wird es ans Eingemachte gehen. Erst dann wird sich zeigen, ob Bakers Verfahrensvorschlag sich als tragfähig erweisen und es möglich sein wird, Madrid zum Auftakt eines wirklichen Friedensprozesses zu machen. Wer die Erwartungen an die Konferenz so hoch ansetzt, daß sie von vornherein unrealistisch sind, zeigt nur, daß er nicht bereit ist, sich auf die Logik des langen Weges einzulassen. Davon sind auch die Beteiligten nicht frei. Widerwillig — contre coeur — reisen einige von ihnen nur deshalb nach Madrid, weil ihnen am Schluß nichts anderes übrigblieb.

Die letzten Tage gaben einen Vorgeschmack. Da ist der israelische Ministerpräsident Jizchak Schamir, der an der Spitze einer Reihe von Betonköpfen nach Spanien fährt und nicht müde wird, zu beteuern, daß sein Land zwar Frieden will, sonst aber alles beim alten bleiben muß. Da sind außerdem die arabischen Staaten, allen voran Syrien, sowie die PLO, die bei ihren Beratungen in Damaskus maximalistische Ziele wie die Bildung eines unabhängigen Palästinenserstaates mit Ostjerusalem als Hauptstadt formulierten. Ziele, von denen jeder weiß, daß sie nicht das Ergebnis der Konferenz sein werden. Das ostentative öffentliche Beharren auf ewiggestrigen Positionen täuscht darüber hinweg, daß gerade die israelische Regierung und das Assad-Regime in Damaskus längst zu einer Art waffenstarrender Koexistenz mit jeweiliger ideologischer Legitimation nach innen gefunden haben und damit auch gut leben konnten. Wenn man in Madrid gemeinsam am Tisch sitzt, wird es schwieriger, die alten Feindbilder für innenpolitische Zwecke zu mobilisieren.

Das Feld ist also abgesteckt: hier die Blockade, das krampfhafte Festhalten am Status quo, dort die Formulierung von Maximalzielen. Wenn es auch keinerlei Garantie auf Erfolg gibt, so ist allen Beteiligten dennoch klar, worum es in Madrid und danach wirklich gehen wird. Denn genau dies wird im offiziellen Einladungsschreiben für die Konferenz festgehalten: Binnen eines Jahres, so heißt es dort, soll in den besetzten Gebieten eine palästinensische Selbstverwaltung für die Dauer von fünf Jahren eingerichtet werden; nach drei Jahren sollen Gespräche über den „endgültigen Status“ aufgenommen werden. Dies entspricht im übrigen der Verhandlungsposition der palästinensischen Delegation.

Notwendiges Ende der Siedlungspolitik

Mit dieser Formulierung ist nach wie vor offen, wie der „endgültige Status“ aussehen soll, ob es also zur Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates kommen wird oder ob eine andere Form der politischen Selbstbestimmung gefunden wird. Dieses Procedere birgt selbstverständlich die reale Gefahr in sich, daß der Prozeß auf halbem Wege steckenbleibt. Vorschläge, die als Zwischenschritte gedacht sind, könnten endgültig werden, gerade angesichts solcher Unwägbarkeiten wie Wahlen in Israel oder den USA. Aber in einem Punkt spricht die Einladung zwischen den Zeilen Klartext: Das vorgeschlagene Phasenmodell ist unvereinbar mit der Fortsetzung der israelischen Siedlungspolitik. An der Formel „Land gegen Frieden“ wird also niemand vorbeikommen. Die Siedlungspolitik wird Dreh- und Angelpunkt für die Beurteilung von Erfolg oder Mißerfolg des in Madrid eingeleiteten Prozesses sein — vor Ort, in den besetzten Gebieten, nicht auf Pressekonferenzen.

Zeitfaktor und Generationswechsel

Den Palästinensern wird die Zukunft derzeit noch regelrecht und im wörtlichen Sinn „verbaut“. Eine Selbstverwaltung oder Autonomie ist nicht das, was sie sich wünschen und wurde in der Vergangenheit immer wieder abgelehnt. Aber die praktische Umsetzung dieser Autonomie zum jetzigen Zeitpunkt und im jetzigen Kontext, die den Stopp der israelischen Siedlungspolitik zwingend voraussetzt, wird den Druck, unter dem die palästinensische Bevölkerung steht, deutlich vermindern und so neuen politischen Handlungsspielraum eröffnen.

Sollte jedoch der in Madrid eingeleitete Prozeß über Monate hinweg stagnieren, wird es zu einem Aufschwung des politischen, vor allem aber des ziellosen Radikalismus und Aktionismus der Jugend in den besetzten Gebieten kommen, geboren aus einer Mischung von Frustration, Perspektivlosigkeit und dem offenkundigen Versagen der bisherigen palästinensischen Führung, die selbst ein Kind des Kalten Krieges ist. Auch die Nachbarstaaten Israels werden nicht ausgespart bleiben. Der Libanon, wo die Menschen gerade wieder Hoffnung schöpfen, wird in den Bürgerkrieg zurückfallen; Jordanien, das in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise steckt, wird erneut um seine Existenz fürchten... Dann wäre es möglicherweise nur eine Frage der Zeit, bis ein neuer Krieg ausbricht. Es steht also viel auf dem Spiel.

Es mag sogar sein, daß es Ewiggestrige gibt, die eine solche Perspektive vorziehen würden. Für ein neues Denken in der Region, das sich in ein neues Handeln umsetzen läßt, gibt es letzlich nur einen Weg: das Abtreten der alten Männer, die jetzt an den Schalthebeln der Macht sitzen, und die Hoffnung auf eine neue, jüngere Generation von Politikerinnen und Politikern, eine Öffnung der völlig unterschiedlichen politischen Systeme und Gesellschaften nach innen und außen. Das wäre die beste Garantie für die Realisierung eines dauerhaften Friedens in der Region. Es ist das Problem Bakers und der US- amerikanischen Vermittler, daß sie es in Madrid mit der alten Garde zu tun haben werden — und eben deshalb kommt den langen und langsamen zeitlichen Rhythmen eine entscheidende Bedeutung zu. Beate Seel

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