PALÄSTINA 1: DARF ISRAEL PREMIERMINISTER HANIJEH TÖTEN? : Es geht um Vergeltung, nicht Notwehr
Dieses Wochenende haben israelische Politiker angekündigt, die Praxis „gezielter Tötungen“ wieder aufzunehmen, falls die Hamas nach der Aufkündigung des Waffenstillstands erneut zu Attentaten übergehen sollte. Diesmal richtet sich die Drohung gegen den Chef der palästinensischen Autonomiebehörde, den Ministerpräsidenten Ismail Hanijeh. Schon die „gezielten Tötungen“ von Hamas-Führer im Jahre 2004 waren vom UNO-Generalsekretär wie von den EU-Regierungen als völkerrechtswidrig gekennzeichnet worden. Eine Verurteilung Israels im UNO-Sicherheitsrat scheiterte nur am Veto der USA. Die jetzige israelische Drohung stellt eine erneute Konfrontation mit dem Völkerrecht dar, allerdings in verschärfter Form
Israels Verteidigungsminister Amir Peretz erklärte zu der Todesdrohung, wer eine Gefahr für Israel darstelle, sei auch dann nicht sicher, „wenn er einen Titel trägt“. In diesem Fall besteht der „Titel“ in der demokratischen Legitimation von Hanijeh, der in freien Wahlen sein Mandat als Ministerpräsident errungen hat. Diese Legitimation wiegt schwerer als die Tatsache, dass Palästina noch kein souveräner Staat ist, also seine Führer nicht den persönlichen Schutz in Anspruch nehmen können, den das Völkerrecht gewohnheitsmäßig gewährt. Die Todesdrohung gegen Hanijeh beweist, dass Israels Regierung im Verhältnis zu den Palästinensern an konstruktiven, in beiderseitigem Einverständnis erzielten Lösungen nicht mehr interessiert ist. Wer als potenzielles Ziel eines staatlichen Tötungsauftrags ausersehen ist, kann schlechterdings nicht mehr als Verhandlungspartner einer zukünftigen Zweistaatenregelung angesehen werden.
Israels Regierung verweist zur Rechtfertigung ihrer Todesdrohungen auf die Notwehrsituation, in der sich das Land angesichts von Selbstmordattentaten befinde, für die die Hamas-Führung nach Aufkündigung der „Waffenruhe“ verantwortlich sei. Aber wie im innerstaatlichen Recht auch setzt die Notwehrsituation und die oft verwendete Analogie zum „finalen Rettungsschuss“ einen konkreten Angriff voraus. Was aber die israelischen Politiker am Wochenende vorbrachten, war nichts als die Drohung mit Vergeltung. CHRISTIAN SEMLER