PAARE : Dunkel und blond
Die verborgenen Mechanismen der Nacht. Ein Paar sitzt in der besten Bar der Stadt, in der Dresdener Straße, in der Nähe des Kinos. Holzstühle und Plüsch, Schürze und Frack. Sie sitzt mit dem Rücken zum Raucherbereich und pustet zuweilen Rauch über die Schulter; er sieht etwas außerirdisch aus. Er ist schief. Sie ist abwaschbar. Sie unterhalten sich über die Psychoanalyse und die Soziologie. Es ist, als ob es keinen Geschmack ohne Hinweis auf den Status gäbe. Ich will eine Pause, ich muss mal raus, sagt sie, weil sie es nicht mehr aushält. Kreativität allein ist keine Leistung, sagt er, das Produkt muss über die Reproduktion von Stereotypen hinausgehen. Sie sieht ihm konstant und direkt in die Augen, er changiert zwischen Augen und Mund. Wenn er könnte, würde er ihr Gesicht mit Honig bestreichen. Wenn sie geht, ihr einen Punch nachwerfen. Ihr den Rücken sanft und langsam mit einer Cocktailglasscherbe aufritzen. Sie pustet neuen Qualm aus, er sieht ein anderes Paar an einem Fenstertisch. Ich verschwende Zeit, denkt sie.
Das Paar am Fenstertisch: zwei Frauen. Introversion, Extraversion. Eine mit Locken, schmal, dunkel; eine Hellblondine mit Kurzhaarschnitt. Ich habe meine Jahresbilanz gelöscht, sagt die mit den kurzen Haaren. Sie geht niemanden etwas an. Zahlen, Zustände. Die andere Frau zwirbelt ihre Locken. Ihr Mund steht leicht offen, um die Augen haben sich Krater gebildet. Hinhalten ist nichts anderes als abweisen, denkt sie. Wenn sie könnte, würde sie die Kurzhaarige zusammenfalten und in die Jackentasche stecken. Spucken. Geleckte Fotos. Knicke. Die Kurzhaarige steht auf, um sich ein Bier zu holen. Sie ist jung.
Das Paar am ersten Tisch löst sich auf. Das Glück ist bedrohlich, sagt sie. Er denkt, er kann nichts dafür, dass er nichts weiter ist als die B-Seite einer Indierock-Single. Sie weiß es besser.
RENÉ HAMANN