Oswald Metzger: Die One-Man-Show
Nur als Rebell hatte er Erfolg - dabei wäre er so gerne geliebt worden von seiner Partei. Jetzt verlässt Oswald Metzger, ein Einzelgänger und Motzer, die Grünen.
Manchmal haben Überlebenskämpfe auch etwas Ulkiges. Wenn einer aller Welt erzählen will, dass die Grünen ihre Zukunft verspielen, dass es diesmal um alles geht für die Partei, für ihn, ja dass er auf dem Sprung ist. Und dann lässt er in der Aufregung das Handy in der Landtagstiefgarage auf dem Dach seines BMW liegen, steigt ein, und weil es auch noch in einem Lederetui steckt, das Telefon, purzelt es irgendwo in Stuttgart auf den Asphalt. Tagelang landen Anrufer bei einer kalten Stimme von E-Plus, der Worte wie "Wolkenkuckucksheim" völlig fremd sind.
Oswald Metzger hat trotzdem ein Spektakel erzeugt wie nie zuvor in seiner Laufbahn. Als er am Dienstag vor die Grünen-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg tritt, drängen sich die Journalisten, als gehe es um die Zukunft eines Regierungschefs und nicht um die eines Landtagsabgeordneten. Er verkündet, dass er austritt aus der grünen Partei - und dass er sein Mandat bald zurückgeben werde. Ein großer Showdown, aber danach wird er nicht mehr der grüne Rebell sein. Sondern erst mal nur der Oswald Metzger aus Bad Schussenried in Oberschwaben.
Bei Metzger zu Hause sagen sie: "Der Oswald löckt gern wider den Stachel." Der Spruch beschreibt das Verhalten eines Ochsen gegenüber dem Herrn, der Stachel ist der Stab des Bauern, und löcken bedeutet ausschlagen. Das ist kein schlechtes Bild dafür, wie Metzger Tag um Tag das platte Urteil erneuert hat, dass viele Hartz-IV-Empfänger vor der Glotze abhängen und ihre Kinder verdummen lassen. So ziemlich alle bei den Grünen fanden das daneben, aber der Ochse Oswald schlug weiter aus.
Eigentlich war die Widerspenstigkeit des Oswald Metzger nie planlos. Sie war sein Konzept, seine Rolle, mit der er sich früh vertraut gemacht hat. Als er in Ehingen aufs katholische Internat geht, tritt er in einem Leserbrief für die Fristenlösung bei Abtreibungen ein. Das Bischöfliche Konvikt streicht ihm das Stipendium. Er findet sich in der Rolle zurecht.
Später in den Siebzigern gibt er in Bad Schussenried eine linke Stadtzeitung heraus: Der Motzer. Die Jugendbewegung stinkt damit gegen die CDU-Ratsherren an, einmal druckt Metzger eine Kommandoerklärung der RAF. Er gefällt sich. Später, 1997 in Bonn, gibt er sein erstes Interview zu schwarz-grünen Koalitionen. Da muss er es schon genossen haben, wie ihm der Gegenwind um die Nase wehte.
Als Rebell bekam er Aufmerksamkeit. Auf Zuneigung wartete er vergeblich.
Oswald Metzger hat sich früh als einer behaupten müssen, der anders ist. Seine Mutter arbeitete in einem Hotel in der Schweiz. Sie war allein für den Sohn verantwortlich. Irgendwann drohte sie, sich umzubringen, wenn Oswalds Großeltern den Jungen nicht nach Bad Schussenried nähmen. Hier wuchs er auf, Weggefährten sagen, Metzger erzähle gern vom Opa. Der Vater starb, die Mutter brachte sich um.
Über so einen wird hergezogen in einer Kleinstadt. Einer, über den geschwätzt wird, muss selber gut schwätzen können.
Er hat in Bad Schussenried zweimal als Bürgermeister kandidiert. Und verloren. Einmal fehlten nur 68 Stimmen zum Sieg. Er erzählt gerne davon. Manchmal macht Metzger in seiner Heimat Wahlkreisspaziergänge. Er klingelt dann einfach irgendwo. Die Leute freuen sich, dass einer mit ihnen schwätzt, der sogar ins Fernsehen darf. Metzger freut sich, dass sie ihn aus dem Fernsehen kennen.
Er ist eine One-Man-Show. Bisher waren die Grünen seine Bühne. Vielleicht ist ihm das bei der Entscheidung zum Austritt nicht so klar gewesen; er findet, dass er sich die Erfolge doch selbst erkämpft hat. Er hat schon als Student sein eigenes Schreibbüro aufgemacht. "Er ist ein Einzelgänger und ein Querkopf", sagt Eugen Schlachter, der für ihn in den Landtag nachrückt. "Entscheidungen fällt er einsam."
Metzger will von den Großen anerkannt werden. In Bonn in der Kohl-Zeit hat er es geschafft. Man kann in den Protokollen des Bundestags große Auftritte nachlesen. Metzger rasselt die Summen runter, die Zinsen, die Prozente. Die Unionsleute werden ganz wild. Einmal hat er eine Rede zu den Haushaltslöchern des Finanzministers noch nicht richtig angefangen, da meldet der erste CDU-Abgeordnete eine Zwischenfrage an. "Was sind Sie getroffen! Er sagt einen Satz, da kommt schon die Zwischenfrage!", johlt Joschka Fischer. Am Ende der Rede ruft Metzger: "Der Finanzminister steht heute mit heruntergelassenen Hosen vor dem Parlament." Im Protokoll ist vermerkt: "Bundesminister Dr. Theodor Waigel erhebt sich und öffnet sein Jackett." Metzger: "Der Beweis des Gegenteils ist ganz erstaunlich."
Irgendwann hat Waigel ihn im Haushaltsausschuss gelobt. Der Metzger könne jederzeit Staatssekretär werden. Sogar Kohl ließ kurz vor seiner Abwahl ein Lob für ihn springen: "Alle Achtung".
Er wollte mehr als das. Er wollte von den Grünen gemocht werden. Ihr Held sein. "Viele wissen gar nicht, wer etwas für den Club bringt", ist so ein Satz von ihm. Er erzählt gerne von seinem Ergebnis bei der Bundestagswahl 2005. 14 Prozent. Viertbestes Resultat bei den Grünen in Deutschland. Nummer eins Ströbele, zwei Künast, drei Fischer. Vier: Metzger. Es hat trotzdem nicht gereicht damals. Die grüne Basis hat ihm einen sicheren Platz auf der Wahlliste abgeschlagen. Er durfte nicht zurück auf die große Bühne.
Im September 2002, zehn Tage vor der Wahl, steht der Mann mit den kurzen Armen das letzte Mal am Pult des Bundestags. Es ist 12 Uhr, die Bänke im Plenum nur zur Hälfte gefüllt. Metzger fuchtelt mit der Rechten, klagt die Schuldenmacher an, zeigt auf die FDP-Bänke, auf die von der Union. Keine Zwischenrufe. Er regt sich auf, niemand regt sich über ihn auf.
Danach hat er ein Buch geschrieben. Man muss darüber eigentlich nur wissen, dass es "Einspruch!" heißt. Die Bertelsmann-Stiftung macht ihn zum "Fellow", Anschluss findet er bei der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft". Ein Grüner hatte noch gefehlt bei der Arbeitgeberlobby. Parteifreunde erzählen, wie er zu dieser Zeit immer wieder gesagt hat, dass es ihm gut geht: "Ich zahle Höchststeuersatz!" Metzger bekam viele Engagements. Versicherungen, Banken Arbeitgeberverbände. 3.000 Euro der Vortrag. Nicht schlecht für einen, der 420 Euro Grundsicherung für eine Wohltat hält.
Aber er hat auch mitbekommen, dass die Journalisten, die Conferenciers nicht mehr so recht wussten, wie sie ihn ankündigen sollen. Er konnte noch so fest über all die Wolkenkuckucksheime schimpfen. Immer wieder tauchte beim Publikum die vernichtende Frage auf: "Ist der Metzger eigentlich noch im Bundestag?"
Er trat für den Landtag an. "Ich sage jetzt: Freunde, ihr könnt eine Volksabstimmung machen, ob ihr Leute wie Metzger in der Politik haben wollt." Schicksalsstunde. Es klappte. 16,7 Prozent - stärker als die SPD.
Nach dem Erfolg macht er sich klein. "Ich bin ein Lehrling in der Landespolitik", sagt er einen Tag nach der Wahl. "Die Zeit im Landtag ist mein Gesellenstück", sagt er ein Jahr nach der Wahl.
Im Landtag trifft er Winfried Kretschmann wieder. Kretschmann hat die Grünen in Baden-Württemberg mitgegründet, früher war er mal bei den Maoisten, jetzt ist er Fraktionschef. Kretschmann sagt väterlich, dass er um Metzger gerungen habe. Er sei auch für die schwarzen Schafe verantwortlich. Vielleicht ist er der Einzige bei den Grünen, der Metzger so etwas wie Zuneigung geschenkt hat.
Kretschmann gab ihm das Amt des finanzpolitischen Sprechers. Kleinarbeit, aber eigentlich kein Problem für einen, der mal dem Waigel die Zahlen um die Ohren gehauen hat. "Ich hatte den Eindruck, er wollte lieber die ganz großen Linien verfolgen", sagt Michael Theurer, ein FDP-Abgeordneter aus dem Finanzausschuss. "Die kleinen Anträge seiner Fraktion mussten wohl andere übernehmen."
Lehrling? Geselle? Meister!
Antje Hermenau hat Oswald Metzger 1994 in Bonn getroffen. Sie saßen gemeinsam im Haushaltsausschuss: "Oswald ist gerne wichtig", sagt sie. "Es ist ihm wichtig, dass er wichtig ist."
Der Landtagsjob ist schwer. Er schränkt auch seine anderen Jobs ein. Er versucht zu trennen. Auf www.oswald-metzger.de sind zwei Büros angegeben. Eins für den Politiker und eins für den Politikberater. Den einen kann man einladen, den anderen muss man buchen.
Ein Systemfehler: Der Politiker ist attraktiv, erhält aber vom Staat nur eine Diät und kann schlecht jedes Mal kassieren. Der Politikberater ohne Mandat kann kassieren, ist aber kein Politiker, was den Kurswert versaut. Damit hat er bald wieder zu kämpfen.
Metzger ist nicht gierig. Er wohnt in einem ordentlichen skandinavischen Fertighaus. Geld bedeutet für ihn Anerkennung. Der Kreis Biberach ist zwar eine ländliche Gegend, aber die Leute verdienen gut. Die Arbeitslosenrate liegt bei 2,6 Prozent. In der Robert-Bosch-Straße, wo Metzger und seine Frau wohnen, parken ordentliche Autos. A-Klasse, so was. Wer was schafft, bringt auch was nach Haus.
Als Metzger so mit 52 Jahren im Landtag sitzt, muss er also irgendwie unzufrieden gewesen sein. Es war mal wieder eine Schicksalsstunde fällig. Da beschließt an einem Sonntagvormittag im Oktober der grüne Landesparteitag - Metzger ist gerade bei einer Mittelstandsvereinigung - ein bedingungsloses Grundeinkommen. In seinem Blog bei focus.de greift er zu: "Einkommen ohne Arbeit": "parlamentarisches Totenglöckchen an den Hals gebunden". Er droht: Lange mache er nicht mehr mit.
Er telefoniert rum, redet über Austritt, Rücktritt, Übertritt. Journalisten rufen an. Es ist wie früher. Bei stern.de lässt er den Satz mit den Kohlenhydraten fallen, die Sozialhilfeempfänger in sich reinstopften. Die Grünen empören sich. Claudia Roth ist den Tränen nah. Renate Künast legt ihm den Parteiaustritt nah. Antje Hermenau wundert sich: "Da hat doch nicht eine Blackbox das Sprechen angefangen. Das ist der Oswald. Der hat noch nie anders geredet."
Auf dem Bundesparteitag in Nürnberg hängen so viele Kameraleute und Fotografen an ihm, als habe Pu der Bär einem Bienenvolk den Honig geklaut. Metzger hört sich um, sucht Verbündete, Leute, die ihn bestürmen, zu bleiben. Er hat immer seine Frau bei sich. Parteichef Bütikofer ruft: "Ich sage nicht: Oswald geh, aber: Oswald, geh in dich." Das ist ihm zu wenig.
Elmar Braun aus Maselheim, Kreis Biberach, kennt Metzger schon lange. Braun ist der erste grüne Bürgermeister Baden-Württembergs. Eigentlich ist er Metzgers Meinung, dass man auch mal was gegen das Gutmenschentum sagen darf. Natürlich differenzierter. Und dann eben auch mal nachgeben.
Braun vergleicht Metzger mit einem Jack-Russel-Terrier. "Die haben ein Riesenherz", sagt er in tiefem Schwäbisch. "Du wirfst einen Ast, der holt den auch. Und du ziehst dran und der verbeißt sich. Je mehr man zieht, desto mehr beißt der sich fest."
Jetzt hat Metzger losgelassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen