Ostermarsch in Hamburg: Rote Fahne statt süßer Sahne
Vor fünfzig Jahren brachen 120 Menschen zum ersten deutschen Ostermarsch von Hamburg nach Bergen auf. In Hamburg erinnerten sich nun die Aktivisten von einst.
Es darf gedrängelt werden im gediegenen Schrödersaal des Hamburger CVJM-Hauses, direkt an der Hamburger Außenalster. Mehr als hundert Menschen sind erschienen, die meisten jenseits der sechzig, viele haben die siebzig längst überschritten. "50 Jahre Ostermarsch - eine Bewegung im Wandel" lautet das Diskussionsthema, zu dem das Rosa-Luxemburg-Bildungswerk geladen hat. Das Stück "Die Anfänge der Bewegung" wird in Originalbesetzung gegeben, und mancher der hier Erschienenen fühlt sich "wie bei einem Klassentreffen".
Und kaum sind die Ostermarschveteranen wieder versammelt, da leben "die grundsätzlichen Differenzen zwischen der pazifistischen und der sozialistisch-kommunistischen Strömung", von denen der Ostermarschmitinitiator Konrad Tempel (77) berichtet, so lebendig wieder auf, als hätten die Protagonisten ein halbes Jahrhundert im Dornröschenschlaf Wiedergeburt in den 80ern verbracht.
An "ein Bündnis wider Willen", erinnert sich Wolfgang Gehrcke (66), damals auf dem Sprung in die verbotene KPD und heute Bundestagsabgeordneter der Linken. Tempel erinnert sich an Erpressungsversuche der Kommunisten: "Ihr habt den Konflikt gemacht, indem ihr gedroht habt, dass der Marsch Hamburg nicht erreicht, wenn nicht jemand von euch in die Marschleitung kommt."
Die "unglaubliche Instinktlosigkeit", dass ganz in der Nähe des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen britische Atomraketen vom Typ "Honest John" erprobt werden sollten, sei der Anlass für den ersten Ostermarsch gewesen, sagt Konrad Tempel, der diesen 1969 mit initiierte.
Karfreitag brachen etwa 120 Menschen im Hamburger Regen auf und erreichten am Ostermontag Bergen. "Wir sind die ganze Zeit mit ernsten Gesichtern marschiert, um Eindruck zu machen, und waren vier Tage unterwegs, um zu zeigen, dass wir das durchhalten können", erzählt Konrad Tempel und vergleicht das Damals mit dem Heute: "Diese zweieinhalb Stunden mit anschließendem Kaffeetrinken, das ist doch völlig unangemessen."
Es folgt eine Zeitreise durch die sechziger Jahre. Von einer strikt antikommunistischen SPD, die sich von der Friedensbewegung abwendete und aus der man ausgeschlossen wurde, "wenn man Marx und Engels gelesen und am Ostermarsch teilgenommen hatte" und vom "Agitationsverbot auf den Ostermärschen", um auch hier die Kommunisten auszubremsen, ist die Rede. Aber auch die meist erfolglosen Versuche, die vielen Schaulustigen mit Parolen wie "Lasst den Kaffee, lasst die Sahne, Bürger hebt die rote Fahne" oder später "Kommt herunter vom Balkon, sonst holt euch der Vietcong" zum Mitmarschieren zu bewegen, kommen zur Sprache. Und da sind dann noch die Notstandsgesetze und der Vietnamkrieg, die den Charakter der Ostermärsche langsam verändern, bis sie Ende der sechziger Jahre ihr vorläufiges Ende finden.
Das Bündnis zerbrach an der Kontroverse über den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Prag. "Ich habe wie viele andere gerechtfertigt, was nicht zu rechtfertigen war", erinnert sich Wolfgang Gehrcke, damals in der neu gegründeten DKP aktiv. Zudem hätten sich am Ende der APO dutzende K-Splittergruppen gegründet, Trotzkisten, Maoisten, Leninisten - alle einander spinnefeind. "Wir wollten nicht mehr mit denen und die konnten nicht mehr mit uns", resümiert Gehrcke.
Bis in die achtziger Jahre hat es gedauert, bis die Ostermarschbewegung vor dem Hintergrund des Nato-Doppelbeschlusses ihre Renaissance erlebte. Und ob sie etwas verändert hat, das beantwortet an diesem Abend ein Vertreter der nächsten Generation: Jan van Aken (48), Vizevorsitzender der Bundestagsfraktion der Linken, der zur Zeit der ersten Ostermärsche noch gar nicht geboren war.
Dass es heute einen gesellschaftlichen Konsens gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr gibt und dass SPD, CDU, FDP und Grüne sich im Bundestag gerade einmütig dafür ausgesprochen hätten, die letzten in Deutschland verbliebenen Atomwaffen abzuziehen, das beides wäre wohl ohne die Ostermarschbewegung nicht denkbar gewesen.
Derart geadelt sind die Ostermarschveteranen am Ende der Hamburger Veranstaltung dann doch noch mit sich und der ganzen Welt versöhnt. Der Marsch hat sich gelohnt.
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