Ossis gegen Wessis: Die Angst der Linken vor der Linken
Nach dem Zoff um Geschäftsführer Dietmar Bartsch will sich die Linkspartei neu ordnen. Doch zwischen Wessis und Ossis herrscht Misstrauen.
Steffen Bockhahn geht mit energischem Schritten in sein Abgeordnetenzimmer, ordert einen Kaffee und setzt sich. Er trägt ein unauffällig-elegantes Jackett und hat gerade seine zweite Rede im Bundestag gehalten. "Ich war ganz zufrieden", sagt er. Mangelndes Selbstbewusstsein ist nicht sein Problem. Bockhahn ist ein Senkrechtstarter. 31 Jahre, effektiv, gescheit, ein Schnelldenker.
Vor einem guten halben Jahr war er noch Fraktionschef im Rostocker Kommunalparlament. Jetzt ist er direkt gewählter Bundestagsabgeordneter, Landeschef der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern und Mitglied im Bundestagsausschuss, der die Finanzen der Geheimdienste kontrolliert. Bei der Fraktionsklausur in Rheinsberg im Herbst ging Fraktionschef Oskar Lafontaine an ihm vorbei, drehte sich kurz um und sagte: "Du bist mir aufgefallen. Du sollst ja zusammenhängende Sätze sagen können" - und verschwand.
Bockhahn ist ein neuer Typ des Ost-Linken: fern von dem Ossi, der es gewohnt ist, am Ende sowieso zu verlieren. Er gehört zu den Pragmatikern, die sich für das Machbare interessieren. "Auch weniger schlimm kann ein Gewinn sein", sagt er. Zum Beispiel Rot-Rot in Brandenburg.
Wenn man die inneren Blockaden der Linkspartei jenseits der Personalquerelen verstehen will, kommt man um Brandenburg nicht herum. Die rot-rote Koalition dort ist zum Symbol des innerparteilichen Grabenkampfes zwischen West und und Ost geworden ist. Und für die Unfähigkeit der Partei, ihre Unterschiede rational auszutragen.
Parteichef Lafontaine passt der Koalitionsvertrag nicht, den die Linkspartei in Brandenburg mit der SPD vereinbart hat. Denn dort steht, dass das Land tausende von Stellen im öffentlichen Dienst einsparen muss. Eigentlich will die Linkspartei im Bund mehr öffentlichen Dienst - und hat dafür auch gute Gründe. Für manche Westlinke ist "Brandenburg" daher das Synonym für den Verrat der Ostlinken. "Falls wir so werden wie die SPD und Kernpositionen aufgeben", sagt Andrej Hunko, der aus NRW kommt und zur "Antikapitalistischen Linken" AKL gehört, "dann wären wir überflüssig."
Für viele Ostlinke ist Rot-Rot in Potsdam kein Verrat, sondern nötig. Denn Brandenburg verliert nicht nur EU-Subventionen, sondern auch Einwohner. Die finanzielle Lage ist übel, außerdem greift die Schuldenbremse. Und immerhin will Rot-Rot 1.200 Lehrer mehr einstellen, die Lage von Asylbewerbern verbessern und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor schaffen. Die Linkspartei war in Brandenburg 20 Jahre lang in der Opposition. Mehr als 90 Prozent ihrer Wähler wollen, dass die Partei regiert. "Hätten wir denen erklären sollen, dass sie leider weiter von der CDU regiert werden?", fragt Bockhahn.
Bei einer Sitzung der Bundestagsfraktion hat Bundestagsneuling Bockhahn vor kurzem Oskar Lafontaine frontal angegriffen. Wegen Brandenburg. Denn Lafontaine hatte SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck angerufen und sich über den Koalitionsvertrag beschwert. Hinter dem Rücken der Brandenburger Genossen. Das zeige, was Lafontaine von seinen Ost-Genossen hält: nichts. Bockhahn hat es sich in der Fraktion mit Nachdruck verbeten, dass so etwas passiert, wenn "wir 2011 in Schwerin mit der SPD eine Koalition bilden". Lafontaine schwieg.
Auch wegen solcher Verstöße gegen die politischen Sitten ist Brandenburg zum Gesinnungstest geworden, bei dem es nur Dafür oder Dagegen gibt und kaum verständigen Dialog. Dabei hat sich die Linkspartei auch im Westen, in Hessen und im Saarland, um Regierungsbeteiligungen bemüht. Und war durchaus kompromissbereit.
Jürgen Reents sitzt in seinem spartanisch eingerichteten Büro und zündet sich eine Zigarette an. Durch das Fenster sieht man in der Ferne den Fernsehturm in Berlin-Mitte. An der Wand hängt ein Foto, auf dem Kardinal Lehmann das Neue Deutschland liest. Reents ist Chefredakteur der Zeitung, das früher Zentralorgan der SED war. Seit ein paar Jahren ist die Redaktion wieder im alten ND-Gebäude untergebracht, hinter dem Ostbahnhof. Es ist ein schlichter, fomenstrenger Bau, in dem es nach DDR förmlich noch riecht. Auch ein Stasi-Traditionsverein, die GHR, die Gesellschaft für rechtliche und humanitäre Unterstützung e. V., ist hier Mieter. Ein Zeichen, dass die PDS die Kontakte zu den Stasi-Seilschaften nie entschlossen gekappt hat.
Reents ist 61 Jahre alt und hat die Vita von vielen West-Linken, er war Maoist, später Grüner. Anfang der 90er-Jahre ging er zur damaligen PDS. "Die Partei hat damals den offenen innerparteilichen Stil der Grünen aus den 80er-Jahren übernommen", sagt Reents. Alles sollte möglichst transparent sein, niemand ausgegrenzt werden. Tatsächlich war eine offene Parteikultur die Antwort auf die doktrinäre Verkommenheit der SED. Und vielleicht ist die innere Liberalität das Einzige, was die Ex-PDS von alleine, ohne Druck von außen, aus ihrer Katastrophengeschichte gelernt hat. Es war in der PDS einfach klar, dass manches nicht geht: Parteiausschlüsse, Drohung mit Abstrafung. Oder öffentliche Demütigungen.
"Gysi", sagt Reents, "hat gegen diesen Stil verstoßen." Weil er Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch öffentlich als illoyal abgekanzelt hat. Das war ein Affront gegen den ungeschriebenen Code der PDS. Auch Loyalität ist für Ex-SEDler ein belegter Begriff, der verdächtig nach der Parteidisziplin früherer Tage klingt. Deshalb ist im Osten die Aufregung gewaltig. Parteichef Bisky hat wütend von "Stalinismus durch die Hintertür" geredet. Rico Gebhardt, Linksparteichef in Sachsen, erinnern die Attacken auf Bartsch daran, wie mit "Denunziationen politisch missliebige Genossen diskreditiert werden". Manche Ostpolitiker spielen mit dem Gedanken, was passiert, wenn die Partei zerfällt. Im Osten, so das Kalkül, wird die Linke als Regionalpartei überleben, im Westen zur Sekte schrumpfen.
Bartsch ist zwar mit knapp 80 Prozent am Donnerstag zum Vizefraktionschef gewählt worden, der Konflikt erst mal befriedet. Ulrich Maurer, der Lafontaine-Vertraute, den viele für den Drahtzieher der Kampagnen gegen Bartsch halten, empfahl Abrüstung. Und auch manche Ost-Genossen sehen, nachdem die erste Aufregung verraucht ist, das nüchterne Kalkül, das Gysi antrieb. Sollte Lafontaine als Parteichef zurückkommen, geht es mit Bartsch nicht mehr. Käme Lafontaine nicht zurück, würden viele Bartsch die Schuld daran geben. So oder so droht ein qualvoller Kampf, den Bartsch am Ende verlieren würde. Deshalb griff Gysi zur Notbremse.
Für diese Version spricht einiges. Doch auch bei Notbremsungen gibt es Folgeschäden. Reents, der die klügsten Kommentare zu der Affäre schrieb, meint: "Das wird Spuren hinterlassen. Man kann nicht einfach zur Tagesordnung übergehen."
Sevim Dagdelen ist seit vier Jahren Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Sie ist in Duisburg groß geworden, 34 Jahre alt und redet schnell, hart, entschieden. "Die Chefredaktion des ND macht die Zeitung zum Sprachrohr der sogenannten Reformer", sagt sie. Versteht sie die Verletzungen, die es wegen Bartsch im Osten gab? Nein, versteht sie nicht. "Man hat den Eindruck, dass da taktische Überlegungen entscheidend waren." Und: "Es muss aufhören, dass die sogenannten Reformer sich immer wieder durch Angriffe auf Lafontaine in den Medien auf Kosten der Partei profilieren." Dagdelen gehört zur AKL.
In ihrem Weltbild gibt es viel Schwarz, viel Weiß, kein Grau. Auf der einen Seite gibt es das Reich des Lichts, in dem der Vorsitzende Lafontaine herrscht - und auf der anderen die Finsternis, in der das "Forum demokratischer Sozialismus" (fds) mit den bürgerlichen Medien paktiert und die Ideale der Partei für einen Heller verramscht. Dass Bartsch nun Vizefraktionschef ist, missfällt ihr. "Es ist schon merkwürdig, dass Illoyalität auch noch belohnt wird."
Es ist dieser Scheuklappenblick von Westlinken, der viele Ostler frösteln lässt. Eine hermetische Weltsicht, in der es vor Abweichungen vom richtigen Kurs nur so wimmelt. Und öffentlicher, in Medien ausgetragener Streit gilt sowieso fast als Verrat. Solche Vorhaltungen alarmieren nicht nur ältere Genossen.
Die Medien erzählen die Linkspartei meist als Konflikt zwischen Fundis und Realos, West und Ost, Radikalen und Pragmatikern. So tickt die Partei. Und doch ist dieses Raster zu grob, um die Abstoßungs- und Anziehungskräfte genau zu begreifen. Und auch in der Linkspartei wächst der Unmut über diese Schlachtordnung.
Nervende Rhetorik
Katja Kipping (32), die Parteivizechefin aus Sachsen, geht die steile Rhetorik der Machtkämpfe ziemlich auf die Nerven. Besser, so Kipping, wäre es, quer zu den Fronten liegende Ideen in den Vordergrund zu rücken. "Für die Legalisierung von weichen Drogen ist die Linksjugend in Sachsen und die Linkspartei in NRW - während Ostfunktionäre und die West-Gewerkschafter dafür nicht so zu haben sind", sagt sie.
Ingrid Remmers ist 44 Jahre alt und neu im Berliner Politbusiness. Sie kommt aus NRW und war dort Vizesprecherin des fundidominierten Landesverbandes. Remmers hat sich auf dem zweiten Bildungsweg hochgearbeitet, Kitas gegründet und einen recht praktischen Blick auf die Dinge. "In der Bundestagsfraktion läuft die Zusammenarbeit ganz gut. Man muss im politischen Tagesgeschäft ja immer schnell reagieren, das diszipliniert."
Sie lobt, was Bartsch für den Osten getan hat. Seinen Verzicht auf den Job des Bundesgeschäftsführer fand sie notwendig, versteht aber "die Angst der Ostler, von den Lafontainisten überrollt" zu werden. Die ganze Eskalation, so Remmers, musste wohl einfach mal passieren. Die meisten Konflikte wurden meist vertagt, weil Wahlen anstanden.
Remmers hat die WASG mitbegründet, davor war sie in keiner Partei gewesen. Die Linkspartei in NRW, sagt sie, ist "aus Protest entstanden". Jetzt brauche man Leute, "die konstruktiv arbeiten". Wer nur innerparteilichen Streit ohne Lösungen wolle, sei "bei uns falsch". Viel anders klingen Linksparteipolitiker aus dem Osten auch nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los