Osman Engin Die Coronachroniken: Corona-Brötchen mit Soße
Wie jeden Sonntagmorgen sehe ich total ekelhaft aus. So kann ich unmöglich Brötchen holen gehen.„Eminanim, du kannst mich doch nicht mit diesen hässlichen Bartstoppeln, zerzausten Haaren und dicken Augen auf die Menschheit loslassen! Ich schäme mich so“, jammere ich.
„Osman, das ist sonntags nun mal deine Aufgabe. Mit dem Mundschutz erkennt dich sowieso keiner“, ruft sie und wirft mich erbarmungslos raus.
Ich bete zu Allah, dass ich keinen Bekannten treffe.
Kurz vor dem Bahnhof sehe ich unsere Nachbarin Erkek Fatma – die schlimmste Tratschtante in unserer Straße. Wenn die mich so sieht, dann weiß in fünf Minuten die ganze Stadt, dass ich sonntagmorgens noch hässlicher aussehe als sonst.
Sofort greife ich nach meiner Maske. Meine Frau hat recht, sie hilft nicht nur gegen Corona. Mist! Ich habe sie bei der Hektik vergessen!
Ich entdecke ein Taxi und klettere schnell links hinten rein. Noch schneller steige ich rechts hinten wieder raus.
„Hey, Osman, lauf doch nicht weg“, höre ich den Taxifahrer Norbert rufen, der bei uns in Halle 4 als Aushilfe arbeitet.
Am liebsten würde ich meinen Kopf wie der Vogel Strauß in die Erde stecken. Aber in dieser Stadt gibt es keine Erde mehr, alles ist zubetoniert.
Warum treffe ich diese ganzen Leute gerade jetzt? Wenn ich mal jemanden suche, um mir Geld zu leihen, dann ist die Stadt wie ausgestorben.
Endlich bin ich am Bahnhof, wo ich sonntags immer die Brötchen hole. Hoffentlich ist die Schlange am Brötchenstand nicht so lang, und noch hoffentlicher kenne ich keinen von denen. Und noch noch hoffentlicher kriege ich kein Corona so ganz ohne Mundschutz.
Plötzlich blitzen Scheinwerfer auf und mehrere Fernsehkameras stürzen sich auf mich zu.
„Herzlichen Glückwunsch, mein Herr! Sie sind der 10.000ste Kunde unserer Bäckerei. Ist das nicht toll?“
In völliger Panik schnappe ich mir eine auf dem Boden liegende Alditüte und ziehe sie mir blitzschnell über den Kopf.
Oh Scheiße! Jemand muss sie bei seiner Reisekrankheit als Kotztüte benutzt haben. Die stinkende Soße läuft mir übers Gesicht bis zu den Füßen hinunter.
Einer der Reporter reißt mir vor surrenden Kameras die Tüte vom Kopf und brüllt:
„Mein Herr, seien Sie doch nicht so schüchtern. Sie wollen doch unseren Zuschauern nicht den glücklichen Gewinner vorenthalten, oder?“
„Ähm… weil ich keine Corona-Maske habe“, stammele ich.
„Als Gewinner bekommen Sie ein Dutzend leckere Brötchen umsonst! Wie fühlen Sie sich?“
„Ich fühl mich genauso wie ich aussehe: Wie frisch ausgekotzt!“
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