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Osman Engin Die CoronachronikenDer Corona-Insider

Osman Enginist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Seitdem wir dieses Virus-Problem mit dem hübschen Namen „Corona“ am Hals haben, kann ich nicht mehr wie früher zum Bäcker einfach den kürzesten Weg nehmen. Ich muss so viele Umwege gehen, dass die warmen Brötchen am Ende eiskalt sind, bis ich sie endlich auf den Frühstücks­tisch stellen kann.

Aber ich will mich nicht beschweren. Andere Leute jammern schon, wenn die Friseure dicht machen. Insbesondere mein Kumpel Ismail, der einen Friseurladen hat, ist ständig am Rumnörgeln.

Ich bin sehr froh, dass ich weiterhin in meinen eigenen vier Wänden eiskalte Brötchen vertilgen kann, anstatt im Krankenhaus am Tröpfchen zu hängen. Das Lästige an der Sache ist nur, dass sich meine tägliche Bäcker-Route ständig ändert. An manchen Tagen dauert der Weg 7 Minuten, an anderen Tagen 70 Minuten, weil ich gezwungen bin, einen Stadt-Marathon zu laufen.

Damit gehöre ich trotzdem zu den auserwählten Privilegierten, die das überhaupt können. Brötchen-Marathon, meine ich, weil ich Corona-Insider bin. Ich bekomme jeden Morgen einen höchst geheimen Anruf, der ungefähr so abläuft:

„Hallo, Osman, ich bin’s wieder, Hümeyranim vom Gesundheitsamt“, flüstert unsere Nachbarin.

„Guten Morgen, Onkel Ömer, wie geht’s dir? Was macht denn Corona in der Türkei?“, antworte ich laut, damit die Kinder nichts mitkriegen.

„Osman, ich gebe dir jetzt die aktuellen Straßennamen durch“, sagt Hümeyranim.

„Onkel Ömer, in der Türkei geht der Inzidenzwert ja wieder steil nach oben. Nicht vergessen, du musst die Hände mindestens 20 Sekunden mit Seife waschen“, antworte ich.

„Schreib auf, Osman. Taubenstraße, Bismarckstraße, Schmidtstraße, Karlstraße …“

„Ach, unseren Kindern geht es auch blendend, Onkel Ömer. Die machen uns die ganze Zeit verrückt, aber denen geht’s ganz gut.“

„Das waren die heutigen Straßen für dich, Osman. Tschüss.“

„Tschüss, Hümeyranim … ich meine, Onkel Hümeyranim, ich meine, Onkel Ömer!“, stammele ich verwirrt.

Nach diesem kleinen Theaterstück, das ich täglich aufführen muss, wenn die Kinder dabei sind, damit sie unser Geheimnis nicht der ganzen Welt ausplaudern, laufe ich schnell zum Computer und drucke meine heutige Brötchen-Route aus. Meine tägliche Brötchen-Route zeigt mir, wie ich gefahrlos zum Bäcker gehen und von da wieder nach Hause zurückkommen kann, ohne irgendwelchen bösartigen Corona-Viren über den Weg zu laufen.

Ich habe Riesenglück, dass meine Nachbarin beim Gesundheitsamt arbeitet und mich täglich mit ihrem unbezahlbaren Insiderwissen versorgt, wo sich die ganzen Corona-Kranken in der häuslichen Quarantäne befinden, damit ich um deren Straßen einen großen Bogen machen kann.

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