Osman Engin Die Coronachroniken: Die Corona-Massenhochzeit
Als ich an der Wohnung von Opa Prizibilsky in der ersten Etage vorbeilaufe, wird plötzlich die Tür aufgerissen. Wie nicht anderes zu erwarten, stürzt Herr Prizibilsky ins Treppenhaus.
„Herr Engin, was für ein Zufall“, ruft er. An seinem Gesichtsausdruck merke ich aber sehr deutlich, dass er bereits seit Stunden hinter seiner Wohnungstür auf mich lauerte – sage aber dennoch:
„Ja, ein sehr schöner Zufall, Herr Prizibilsky. Wir haben uns ja seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen“, und setze mir sofort meine Maske auf.
„Herr Engin, stimmt es, dass die Türken selbst während der Coronapandemie weiterhin mit 5.000 Leuten Hochzeiten feiern?“, fragt er streng.
„Nein, das stimmt nicht“, stammele ich peinlich berührt.
„Doch, die feiern immer noch mit Kind und Kegel und Mutter und Tante. Ich habe meine Informationen aus sicherer Quelle. Zum Beispiel, am kommenden Samstag steigt wieder so eine Massenhochzeit.“
„Ähm … Die feiern aber nicht mehr mit 5.000 Leuten, sondern wegen dem Corona nur noch mit 1.000. Also 4.000 Gäste weniger, da darf man nicht meckern.“
„Die Behörden meckern aber trotzdem.“
„Verstehe ich auch nicht. Die Leute tragen doch ordentlich Masken. Zumindest die Schwägerin der Braut.“
„Und, Sie gehen am Samstag sicherlich auch dahin, nicht wahr, Herr Engin?“
„Sind Sie verrückt? Ich bin doch nicht lebensmüde! Außerdem habe ich überhaupt keine Ahnung, wann und wo so eine Coronaparty steigt.“
„Sagte ich doch, am Samstag. Im Istanbul-Hochzeitssaal, um 17 Uhr. Mein Gemüsehändler Abdullah kennt sich damit bestens aus. Die Gäste bekommen ein halbes Hähnchen, Bulgur, eingelegte Gurken und Baklava serviert. Ich komme mit Ihnen.“
„Herr Prizibilsky, nur um die Leute bei der Behörde zu denunzieren, wollen Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen, oder was?“
„Herr Engin, ich will doch niemanden denunzieren, sondern nach Jahren endlich mal wieder ausgehen und ein tolles Weib abschleppen. Bei solchen Hochzeiten soll es ja nur so wimmeln von schicken Müttern, aufgetakelten ledigen Tanten und zurechtgemachten Omas. Ich kann super tanzen. Schauen Sie mal, eins, zwei, cha-cha-cha! Eins, zwei, cha-cha-cha …“
„Ich fass es nicht! Für ein bisschen Amüsement wollen Sie Ihr Leben riskieren?!“
„Herr Engin, wo denken Sie denn hin? Ich habe meine beiden Corona-Impfungen bereits hinter mir. Eins, zwei, cha-cha-cha. Eins, zwei, cha-cha-cha …“
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