piwik no script img

Osman Engin Die CoronachronikenHatices Coronawunsch

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Corona. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Meine kleine Tochter Hatice kommt weinend von der Schule nach Hause und jammert: „Mamaaa, ich habe sehr hohes Fieber! Ich habe Corona-Aaa!“ Bei meiner Frau und mir klingeln sofort die Alarmglocken.

Nach einer gründlichen Untersuchung meint Eminanim: „Aber Hatice, deine Stirn ist doch ganz schön kühl. Du bist nicht krank.“

„Ich habe hohes Fieber, ich bin total krank, ich habe Corona-Aaa“, jammert Hatice trotzdem weiter.

Ich schnappe mir aus dem Badezimmer das Thermometer. „Deine Mutter kann mit der bloßen Hand natürlich nicht so genau messen, mein Kind“, sage ich und entschuldige mich für die andere Hälfte der Elternteile, die sich Hatices Corona gegenüber nicht gebührend ­respektvoll gezeigt hat.

Ich schiebe das Thermometer Hatice in den Mund und tröste sie: „Gleich wissen wir, ob du Corona hast, arme Hatice. Ich habe sofort gemerkt, dass mit dir etwas nicht stimmt, als du die Wohnungstür nicht wie sonst mit aller Kraft zugeknallt hast.“

„Wie denn auch, siehst du nicht, wie krank ich bin? Ich bin total entkräftet. So hohes Fieber hatte ich noch nie!“

In dem Moment piept das Thermometer. „36,7 Grad! Mein Kind, du hast überhaupt kein Fieber. Ist das nicht schön? Du hast kein ­Corona“, jubele ich.

„Das blöde Ding ist doch kaputt! Ich hab sehr wohl hohes Fieber. Ich muss in die Quarantäne“, besteht Hatice immer noch auf ihr Recht, Corona haben zu dürfen.

„Also Fieber hast du auf jeden Fall nicht. Bis zum Abendessen kannst du dich aber trotzdem in deinem Zimmer in die Quarantäne begeben“, antworte ich und gehe in die Küche zu meiner Frau. Wir sind heilfroh, dass in ihrer Schule doch kein Corona ausgebrochen ist.

„Lieber gehe ich ins Heim, ey, da kümmern sie sich wenigstens um kranke Kinder“, werden wir von dem sterbenden Schwan zurechtgewiesen.

Eminanim und ich bleiben ruhig und cool.

Und dann kommt es raus: „Evelyn hat gesagt, wenn sie hohes Fieber hat, bekommt sie von ihren Eltern sofort Bonbons und Schokolade und darf zu Hause bleiben. Und ihr, was macht Ihr? Ihr steckt mir ein blödes Thermometer in den Mund und verschwindet dann in die Küche, um euch über meine schlimme Krankheit lustig zu machen!“

Nach einer kurzen Pause erklärt uns unsere Tochter noch einmal die Welt: „Warum macht ihr überhaupt Kinder, ey? Von wegen, die Türken sind kinderlieb, dass ich nicht lache, ha, ha, haaa … Nicht mal Corona darf man haben!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen