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Osman Engin Die Corona-chronikenDie Corona-Sorgen

Foto: privat

Osman Engin

ist Satiriker in Bremen. Zu hören gibt es seine Kolumnen unter https://wortart.lnk.to/Osman_Coro-na. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Nach einer langen Fahrt zusammen mit meinem­ Ford-Transit stehen wir pünktlich zu Schichtbeginn im Büro von Gesundheitsminister Jens Spahn in Berlin.

Der Transit natürlich nicht. Der ruht sich draußen auf dem Parkplatz aus.

„So früh hier? Haben Sie etwa vom Gesundheitsminister geträumt? Der Herr Minister ist noch nicht da“, sagt sein Büroleiter.

„Den ganzen Tag zu verschlafen ist überhaupt nicht gesund für einen Gesundheitsminister“, sehe ich mich gezwungen, Herrn Spahn in seiner Abwesenheit zu kritisieren.

„Jetzt haben Sie ihn wohl geweckt. Da kommt er schon“, lacht der Büroleiter.

„Herr Spahn, Herr Spahn, ich brauche unbedingt eine Impfung“, rufe ich zu ihm.

„Wie? Sind Sie immer noch nicht geimpft worden?“

„Doch. Aber vor drei Monaten!“

„Keine Sorge. Die Wirkung des Vakzins hält mindestens sechs Monate.“

„Nicht bei mir! Ich lasse mich auch mehrmals im Jahr gegen Grippe impfen, trotzdem werde ich jedes Mal grippekrank. Ich bin leider unheimlich vakzinresistent.“

„Mehrmals im Jahr lassen Sie sich gegen Grippe impfen? Jetzt wird mir klar, weshalb wir ständig Impfstoff-Engpässe haben.“

„Nicht bei allen Krankheiten lasse ich mich mehrmals impfen. Zum Beispiel gegen Masern und Denguefieber nur einmal im Jahr. Gegen Hepatitis A, B, C in alphabetischer Reihenfolge alle neun Monate.“

„Wenn das so ist, machen Sie doch mit Biontech einen Abo-Vertrag. Der Herr Şahin ist doch ein Landsmann von Ihnen“, lacht er.

„Das habe ich schon versucht. Aber Herr Şahin wollte mich zum Nordpol schicken.“

„Warum denn das? Sind Sie ihm derart auf die Nerven gegangen?“

„Nein, nein. Das war nicht der Hauptgrund, sondern dass das Biontech-Vakzin bei sehr niedrigen Temperaturen aufbewahrt werden muss.“

„Oh Gott, oh Gott“, mischt sich der Büroleiter panisch in unser Gespräch ein.

„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich ziehe nicht zum Nordpol um“, beruhige ich ihn.

„Herr Minister, eine Katastro­phe! Soeben hat sich das Robert-­Koch-Institut gemeldet. Keine einzige Covid-Neuinfektion heute.“

„Das darf doch nicht wahr sein! Wir sind erledigt“, stammelt Herr Spahn und wird ganz blass.

„So schlecht finde ich die Nachricht gar nicht. So kann mich keiner anstecken“, freue ich mich.

„Verflucht!“, schimpft Herr Spahn. „Es ist doch alles offen.­ Die Restaurants, die Cafés, die Geschäfte, die Kinos – aber kein Mensch steckt sich an! Wie blöd ist das denn? Wie soll ich denn jetzt den Leuten je wieder ­einen Lockdown schmackhaft machen?“

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