piwik no script img

Osman Engin Die Corona-ChronikenDas Heilige Covid und die Siebenschläfer

Foto: privat

Osman Engin ist Satiriker in Bremen. Er liest seine Geschichten im Radio bei Cosmo unter dem Titel „Alltag im Osmanischen Reich“. Sein Longseller ist der Krimi „Tote essen keinen Döner“ (dtv).

Früher, vor Corona, hatte meine kleine Tochter Hatice mit der Schule fast ihren Frieden geschlossen. Nach etlichen erfolglosen Ausbruchsversuchen sagte sie: „Papa, ich sitze in der Schule am Fenster, direkt neben der Heizung. Es ist schön warm und supergemütlich. Ich kann nach draußen gucken, und ich lass den lieben Gott einen guten Mann sein.“ Ihre Mutter und ich waren über diese Aussage begeistert.

„Hatice, was willst du denn werden, wenn du mal groß bist?“, fragte ich sie, weil ich gehört hatte, dass die Eltern ihren Kindern diese Frage von Zeit zu Zeit stellen sollten.

„Zauberer, Briefträger, Eisverkäufer“, brüllte sie wie aus der Pistole geschossen.

Jetzt, nach Corona, hat sich ihr Berufswunsch dramatisch verändert. Sie will nur noch Bundeskanzlerin werden, weil sie dann die Schulen einfach dichtmachen kann. Inzwischen hat sie es in der Schule nämlich nicht mehr so schön warm und gemütlich. Sie sitzt direkt am Fenster, und die Fenster sind die ganze Zeit offen.

Obwohl sie mehrere Pullover übereinander anzieht, kommt sie jeden Tag wie eine kleine Gletscher-Mumie von der Schule zurück und muss von uns umständlich aufgetaut werden.

Leider erstarrt nicht nur ihr Körper zur Eissäule – sondern auch ihr Gehirn. Vor Corona war Hatice unglaublich kreativ und sehr erfinderisch. Sie hatte mindestens an drei Tagen der Woche einen höchst interessanten Feiertag erfunden, um die Schule zu schwänzen. Zum Beispiel: „Buß- und Bettag am Gründonnerstag“, „Totensonntag am Rosenmontag“, „Volkstrauertag der deutschen Einheit“.

Ihre allerletzte Feiertag-Schöpfung war: „Das Heilige Covid und die Siebenschläfer“.

Wir kamen erst dahinter, als ich von Halle 4 eine ganz böse Abmahnung erhielt. Wegen häufigen Fehlens drohte man mir, mich rauszuschmeißen. An den ganzen neuen Feiertagen war ich natürlich genauso wie Hatice zu Hause geblieben. Feiertag ist Feiertag.

Ob es nun an den wenigen Temperaturen oder an den vielen Lockdowns liegt, ihre Kreativität hat in letzter Zeit sehr stark nachgelassen. Diese ständigen Lockdowns machen die Menschen nicht nur träge und faul, sondern auch völlig unkreativ.

Hatice hat es nicht mehr nötig, exklusive Feiertage zu erfinden, um die Schule zu schwänzen. Es ist völlig ausreichend, wenn sie uns gegenüber irgendwelche, ganz gewöhnliche Namen nennt.

„Papa“, sagte sie eben, „Martha muss ab heute in die häusliche Quarantäne. Ich hatte leider gestern mit ihr gespielt. Also muss ich auch zwei Wochen zu Hause bleiben.“

Vor Martha war es Maria, davor Max.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen