Ortstermin mit Müntefering: Der abwesende Herr Beck
Ein Politiker lobt einen Journalisten, der die Politiker lobt: Franz Müntefering (SPD) stellte gestern das neue Buch von Nikolaus Blome ("Bild"-Zeitung) vor. Man war sich meistens einig.
Franz Müntefering ist voll des Lobes. Dies ist ein Buch, sagt er, das "Vorurteile gegen Politiker widerlegt". Dem Autor Nikolas Blome, Leiter des Parlamentsbüros der Bild-Zeitung, bescheinigt er, als "Erzieher" geeignet zu sein. Blomes Buch - "Faul, korrupt und machtbesessen. Warum Politiker besser sind als ihr Ruf" - ist eine teils pfiffige, teils platte Streitschrift gegen Politikerbashing. Es gehört, sagt Müntefering mit volkspädagogischem Eros, in "Schulen und Berufsschulen". Damit junge Menschen früh vor dem Virus der Politikerverachtung geimpft sind.
Bei der Präsentation gestern im vierten Stock der Deutschen Bank in Berlin-Mitte hegt allerdings niemand Vorurteile gegen Politiker. Das Wahlvolk, das in diesem Verdacht steht, ist nicht da, dafür eine Schar geladener Gäste. Und viele Journalisten, die vor allem wegen Müntefering gekommen sind.
Die Veranstaltung, initiiert von der Alfred Herrhausen Gesellschaft, ist ziemlich absturzgefährdet. Denn wenn ein Politiker einen Journalisten lobt, der die Politiker lobt, wird es schnell stickig. Zumal Journalisten Leidensgenossen der Politiker sind - beide Berufsgruppen sind beim Volk, laut Umfragen, etwa so beliebt wie Kindermörder.
Doch dass es nicht zu kuschelig wird, dafür sorgt Franz Müntefering. Ihm kommt zwar kein kritisches Wort zu Blome, einem kantig wirkenden Mittvierziger mit militärischer Kurzhaarfrisur, über die Lippen. Aber seine Körpersprache signalisiert Distanz. Manchmal blitzt eine lebenskluge Skepsis auf, ein erfahrungssattes Wissen, dass wir alle nur Rollen spielen und in jeder Vertrautheit das Missverständnis wohnt. Seine Sätze sind meist einfach, kurz, schroff. Demokratie ist gut, sagt er. Und: Streit muss sein. Oder: Der Vorwurf, dass Politik immer nur nachbessert, den Rot-Grün oft zu hören bekam, ist ungerecht. "Seit Adam und Eva gibt es nur Nachbesserungen." Dabei wirkt er wie jemand, der sich solide gegen falsche Vertraulichkeiten geschützt hat.
Eigentlich ist Blomes Polemik ein seltsames Unterfangen. Dass ausgerechnet ein Bild-Redakteur die allgemeine Politikerverachtung geißelt, ist ungefähr so, als würde ein Heroindealer eine Kampfschrift für Abstinenzler schreiben. Denn Bild ist das Zentralorgan der Politikerverachtung, der gezielten Aufwiegelung und kalkulierten Wutwellen, die gegen raffgierige, faule, dumme Politiker ins Rollen gebracht werden. Auch wenn Politiker bloß tun, was das Bundesverfassungsgericht über ihre Diäten entschieden hat, stopfen sie sich laut Bild die Taschen voll. Davon sagt Müntefering kein Wort. Er macht noch nicht mal einen Witz darüber. Man redet im Haus des Henkers nicht über den Strick.
Richtig peinlich wird es nur einmal. Blome malt den Machtwechsel in der SPD in den freundlichsten Farben. Er lobt, ohne Müntefering zu nennen, überschwänglich das taktische Geschick und die politische Entschlossenheit, mit der Beck aus dem Amt entfernt wurde. Der Putsch erscheint da wie eine Trainerentlassung, die - Hut ab - professionell über die Bühne gebracht wurde. Müntefering schaut dabei ins Leere. "Wir haben mit diesen Vorgängen 2009 eine Chance", sagt er dann kühl.
Am Ende sind sich der Journalist und der Politiker einig, wer schuld an dem Schlamassel ist: die Wähler. "Die Politikverdrossenen sind selbst schuld an ihrer Verdrossenheit", sagt Müntefering. Blome nickt und sagt, dass das Volk Politiker will, die seine Interessen durchsetzen, aber keine Machtpolitik machen. Dass es Reformen will, die es nicht treffen, und Politiker, die professionell sind, aber nichts kosten. Da nickt Müntefering. Der Wähler ist kurzum einfach nicht ernst zu nehmen. Ein schwererziehbares Wesen. So kann man es sehen. Aber erklärt ist damit gar nichts.
Um Politikverachtung zu verstehen, müssen sich Politiker wohl eingestehen, dass sie im globalisierten Kapitalismus weniger können als vor 30 Jahren. Oder berücksichtigen, dass die Hälfte der Bundesgesetze Übernahmen von EU-Recht sind. Komplizierte strukturelle Gründe. Bei Blome sind nur die blöden Wähler schuld. Wäre es da nicht besser, wenn die Politiker sich neue, verständige, kluge Wähler besorgen würden?
Ein Rätsel ist außerdem, warum vor 30 Jahren noch 25 Prozent Politiker für anständige Leute hielten und heute nur noch 6 Prozent. Bei dieser Buchvorstellung erfährt man es nicht. Wahrscheinlich haben sie zu viel Bild gelesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“