Ortstermin: Frank-Walter Steinmeier talkt in Hamburg-Altona : Silberlocke verschiebt die Klimakatastrophe
Er braucht mehr als zwei Minuten. Über 120 Sekunden, um die Frage nicht zu beantworten. Wann es endlich überall Mindestlöhne gebe, hat jemand aus dem Publikum wissen wollen. Man arbeite daran, aber der Koalitionspartner, also mit der CDU, das sei alles nicht so einfach in der realen Politik – das könnte die Essenz des Wortgeschwurbels sein, mit dem Frank-Walter Steinmeier antwortet. Vielleicht sagt er auch das Gegenteil. Oder meint es zumindest. Wer soll das schon so genau wissen, wofür der Sozialdemokrat steht, den der Gastgeber als „den nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ vorgestellt hat.
Olaf Scholz, der SPD-Bundesarbeitsminister, hat am Dienstagabend in die Kantine der Holsten-Brauerei zum „Talk in Altona“ geladen, in seinen Hamburger Wahlkreis, den er seit 1998 im Bundestag vertritt und in dem er bei der Wahl im nächsten September auch erneut das Direktmandat erringen wird. Zum Talk mit dem Vizekanzler und Außenminister, mit dem Mann, „der im nächsten Jahr die Kanzlerkandidatin der Union besiegen wird“, wie Scholz verkündet. Zum Talk mit einem Hoffnungsträger, der mit freundlichem Applaus empfangen wird von den rund 400 Menschen im gut gefüllten Saal zu seinem ersten Auftritt in Norddeutschland, seit die SPD ihn vor gut zwei Wochen zum Herausforderer von Angela Merkel gekürt hat. Und der nach über anderthalb Stunden auch wieder mit freundlichem Beifall verabschiedet wird.
Denn Frank-Walter Steinmeier ist keine Rampensau wie sein Mentor Gerhard Schröder, aber das muss ja nichts Schlechtes sein. Breitschultrig und silberlockig steht er auf der Bühne, langsam und akzentuiert spricht er, ohne Modulationen, mit spärlicher Gestik und ebenso spärlicher Mimik, die personifizierte Langeweile. Und im monoton plätschernden Wortschwall entgeht einem fast, dass er es „bitter“ findet, wie die SPD in Hessen sich gerade zerlegt, dass er mit einem US-Präsidenten Barack Obama – dessen Erfolg erst etwa acht Stunden später feststehen wird – „größere Chancen für die Verbesserung der transatlantischen Beziehungen“ sieht, dass die internationale Finanzkrise eine „Zeitenwende“ markiere, dass Russland und China nicht außer Acht lassen dürfe, wer ein verantwortungsbewusster Staatenlenker sein wolle.
Nein, bei Frank-Walter Steinmeier gibt es nichts, was abstößt, aber es gibt auch nichts, was anzieht. Frank-Walter Steinmeier ist was Seriöses und Solides, und vielleicht ist das das Beste, was der SPD zur Zeit passieren kann.
45 Minuten lang redet er, und warmer Beifall ist sein Lohn. Und auch im zweiten Teil, in der von Scholz moderierten Fragerunde, redet Frank-Walter Steinmeier viel und sagt wenig. Dass die Welt groß sei und die Probleme ernst, ja, diese Vermutung könne er bestätigen. Nato, EU-Erweiterung, Naher Osten, Iran, Irak, Afghanistan, G7, G8 und die Tigerstaaten wie Indien oder Brasilien – da gebe es immer reichlich zu tun, das sei schon richtig.
Und deshalb, allein schon wegen der Außenpolitik, sei die Linkspartei für ihn kein Partner, sagt Frank-Walter Steinmeier, und der aufbrandende Applaus gilt vermutlich weniger dem konkreten Inhalt dieser Aussage, sondern der Tatsache, dass er überhaupt mal eine konkrete Ansage macht. In den Kommunen sei das was anderes, auch in dem einen oder anderen Bundesland vielleicht, siehe Hessen. Aber im Bund komme eine Koalition mit der Linkspartei „für mich nicht in Frage“, versichert Frank-Walter Steinmeier, und er fügt hinzu: „Und das gilt auch nach der Bundestagswahl.“
Und sogar noch eine zweite Aussage lässt er sich entlocken, als er das Konjunkturprogramm erläutert, welches das Bundeskabinett am nächsten Vormittag beschließen wird. Die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer beim Kauf eines Neuwagens sei, sagt Frank-Walter Steinmeier, „weder ökologisch sinnvoll noch sozial gerecht“. Gemacht werden müsse das dennoch, damit die Autokonzerne nicht auf den Spritschluckern und CO2-Schleudern sitzen bleiben, die sie schon auf Halde produziert hat. Denn es geht um Jobs, und nach altem sozialdemokratischem Credo ist bekanntlich jeder Arbeitsplatz ein guter Arbeitsplatz. Allerdings: Nach zwei Jahren steuerfreiem Fahrspaß werde Ernst gemacht mit den schärferen Schadstoffklassen für Autos, verspricht Frank-Walter Steinmeier.
Der Mann, der dann Kanzler sein will, kann sogar die Klimakatastrophe verschieben – echt super. SVEN-MICHAEL VEIT