Oralsex statt Faschismus und Knutschen statt Quatschen : Das ist die pure Wahrheit
VON MARGARETE STOKOWSKI
Ich mache nur deswegen Yoga, damit ich eines Tages mit mir selbst Oralsex haben kann. Manche Dinge werden einfach besser, wenn man ein Ziel hat. Nicht alle. Man kann sehr gut studieren oder raus vor die Tür gehen, ohne ein bestimmtes Ziel zu haben, oder man kann jemanden lieben, ohne dass man weiß, wieso, und das ist jetzt kein Kitsch, das ist die pure Wahrheit.
Aber mit dem Yoga ist es nicht so. Es macht Spaß, aber man muss sich dazu aufraffen, und man muss etwas haben, woran man den Fortschritt messen kann. Es ist eine Frage der Definition, wie so oft. Ich könnte mir sagen, meine Ziele sind, dass ich beweglicher werde, meine Rückenmuskeln mehr werden und mein Bauch weniger, aber wäre bekloppt, das wäre Selbstquälerei, Gesundheitsstress und überhaupt letztendlich Faschismus.
Einer meiner Freunde kann das, also er kann sich selbst einen blasen. Das beeindruckt mich etwas, aber nicht sehr, weil das für Männer ja 14,8 Zentimeter einfacher ist als für Frauen.
Als ich jedenfalls am Freitagnachmittag vom Yoga komme, bin ich total entspannt. Mich stören nicht mal die dämlichen Wahlplakate. Ich habe das Gefühl, die sind in diesem Jahr besonders unkreativ. Die FDP schießt so ziemlich den Vogel ab. Auf deren Plakaten steht jeweils eine bescheuerte Frage und eine infantile Antwort, die nicht zur Frage passt. Ich finde das toll, weil die so garantiert nicht gewählt werden. Das ist Kleinkinderhumor, und Kleinkinder dürfen nicht wählen, Pech. Alles wird bestraft.
Abends sagt Dana, sie wird irgendwo auflegen, in einem Laden, der Ex’n’Pop heißt und den sie beschreibt als „ranzigen Kultladen im befleckten Teil von Schöneberg“. Kenn ich, die Ecke. Vor gut zehn Jahren, als ich ein verhältnismäßig unbeflecktes Mädchen war, hatte ich dort Schlagzeugunterricht. Also los. Mit dem Fahrrad ist es nicht mal ne Viertelstunde. Auf dem Weg überlege ich, wie man die mittelschönen Wahlplakate aufmotzen könnte. Ich habe übrigens auch das Gefühl, dass sie dieses Jahr besonders tief hängen.
Das Ex’n’Pop ist tatsächlich ranzig, aber nicht so sehr, eher betont gestrig. Es riecht nach altem Rauch und billiger Flüssigseife und von der Decke baumeln diese spiralförmigen Aludinger, die früher manchmal in Bäckereien über der Heizung hingen, weil sie sich so lustig drehen. Ich trinke ein Bier, ein hässlicher Typ kommt zweimal mit seinem Glas vorbei, will anstoßen. Ich trinke aus und bin wieder weg.
Am Samstag ist Hanfparade und abends spielt Götz Widmann hinterm Reichstag. Ein paar hundert Leute sitzen auf der warmen Straße, wir setzen uns dazu, da spielt Widman gerade „Im Hippiebus nach Marrakesch“, und das passt wie Arsch auf Eimer, denn Stefan und ich werden nächste Woche einen Bus kaufen: einen sehr alten Transit, mit dem wir dann zum Meer fahren, oh ja.
Später sitzen wir an der Spree und trinken, es ist schön. Sophie zieht mir die Schuhe aus und massiert meine Füße. Irgendwann sagt Stefan, wir müssen los zu der anderen Party, wenn wir da noch hinwollen, immerhin ein 30. Geburtstag. Aber es ist sehr weit. Ich gucke auf meinem blöden Smartphone, wie weit. 32 Kilometer. Wir halten ein Taxi an, geht nicht anders. Stefan setzt sich vorne rein und quatscht mit dem Fahrer über Mietpreise, Sophie und ich sitzen hinten und knutschen. Dann sind wir auf der Party. Die Tapete hinterm Sofa hat ein komisches Muster, wie Cellulite. Es gibt sehr kaltes Bier, fast gefroren, und wir reden über Landkommunen und Küchenmesser.
Auf dem Nachhauseweg laufen zwei Frauen an mir vorbei, die eine sagt zu der anderen: „Ich glaube, das, was wir Gott nennen, ist eigentlich Energie.“ Ich mache laut „Pfff“, die beiden schauen herüber, und ich sage, es ist alles, wie so oft, eine Frage der Definition.