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■ Olympiabewerbung im FrontstadtgeistEine aufgeblasene Stadt

Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy mußte angesichts Berlins „an einen Frosch denken, der sich aufblasen will, nur, daß er hier nicht zerspringt, sondern am Ende wirklich ein Ochse werden wird“. Monatelang hat sich nun die Stadt mal wieder gebläht, hat weder Kosten noch Fettnäpfe gescheut, um in den ersehnten Rang einer Sportmetropole gehoben zu werden. Und dann reichen vier Worte des IOC-Oberen Juan Antonio Samaranch, und die Luft ist raus: Nix Olympia, nix Weltstadt, schon wieder, zum wievielten Mal eigentlich, malt einer das Menetekel Posemuckel an die Wand. Da hilft nichts, kaum daß unser armer Frosch Atem geholt hat, wird erneut gepumpt, werden noch größere Dimensionen angestrebt. Nun, nachdem das IOC das Berliner Angebot ausgeschlagen hat, so erscholl es gestern aus allen Hauptstadtsendern, leitartikelten alle Gazetten Berlins, nun müßten sie kommen, die Bundesregierung und der Bundestag. Ganz so, als ob der Bundeskanzler mit Samaranch in einer Haftungsgemeinschaft lebt, wird aus des einen Ablehnung des anderen Zuspruch gefolgert.

Berlin will Zuwendung im zweifachen Sinn des Wortes. Keine Stadt kann so ausdauernd öffentlich leiden, meldet so maßlos ihre Bedürfnisse an. Kaum ist sie Hauptstadt geworden, verlangt es sie nach einem Großflughafen, kaum geht ihre größte Sprechbühne ein, sieht sie ihre Identität bedroht.

Eine vierzigjährige Existenz als Frontstadt hüben und Hauptstadt drüben bilden den Humus einer Versorgungsmentalität, die als Berliner Sumpf ihre sattsam bekannte Ausgestaltung im Inneren erhält. Wo nicht Produktivität, sondern Zuwendung die entscheidende Wirtschaftsgröße ist, schlägt die Konkurrenz in Neid um. Auf diesem Boden lockte Olympia die Stadt nicht als solide kalkulierter Wirtschaftsimpuls, sondern als schnell verdiente Mark, macht sich statt sportlicher Begeisterung Spielermentalität breit. Die Stadt zeigte sich in den letzten Wochen in dem zaudernd fiebrigen Gemütszustand dessen, der ein Roulettespiel verfolgt und dabei in der Hosentasche einen Zehnmarkschein knüllt – wohlwissend, daß es sein letzter ist.

Wo hoher Gewinn und jäher Bankrott so nahe beieinanderliegen, wo ein sportlicher Wettbewerb zur nationalen Aufgabe stilisiert und als Stadtvision symbolisch besetzt wird, wo auf diese Weise die politische Klasse der Stadt eine Sinnstiftung erfährt, da läßt der „Anti-Berliner“ nicht auf sich warten. Jener Phänotypus, der in einer Stadtgesellschaft, die über Jahrzehnte entlang der Blockgrenze politisiert wurde, den Kontrapart all dessen spielt, was als westliche Werte gefeiert wurde. Diese in der Stadthistorie begründete Dichotomie – die im Gegensatz zu anderen Großstädten nie eine gesellschaftliche Vermittlung zugestand – ließ auch die Auseinandersetzung um die Olympiabewerbung unversehens zu einem Systemkonflikt mutieren, der ob der nicht vorhandenen Schlichtungsalternativen um so verbissener ausgetragen wurde. Getreu der Devise, daß meines Gegners Feind mein Freund sei, konnte man in den letzten Tagen so manchen Gralshüter der Menschenrechte ausgerechnet die Bewerberstadt Peking favorisieren sehen.

Nun hat das Votum des IOC der Stadtopposition nach Jahren vergeblichen Mühens endlich einmal das Gefühl eines richtigen Sieges vermittelt. Und da die Anti- eben auch Berliner sind, haben sie ihn weidlich ausgekostet. Und noch eins draufgesetzt: Olympia ist weg, jetzt ist der Bürgermeister dran. So überzogen dieser agierte, so hemmungslos ist nun ihre Reaktion. Dabei reichte es, man würde sich das bleibende Verdienst ans Revers heften, verhindert zu haben, daß aus dem Frosch ein Ochse wurde. Dieter Rulff

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