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Ohne Schaden läßt sich am Literaturetat nichts einsparen

■ betr.: „Finanzsenator als Kulturse nator“, taz vom 28.2.94

[...] 1. Das Programm der literaturWERKstatt habe ich nicht „argwöhnisch beäugt“, weil ich die Konkurrenz „fürchtete“. Vielmehr habe ich die Konkurrenz angenommen und beobachtet, wie das die Kollegen wohl auch tun. Konkurrenz ist nichts Schlechtes, aber es sollte auch möglich sein, sich über Unterschiede der Programmgestaltung öffentlich und kritisch zu äußern. Sogar Polemik halte ich – wie die taz – mitunter für recht erfrischend. Nun aber droht unter dem Signum von Immobilienspekulation, Streichung und Einsparung ein im kulturellen Berlin bisher wenig üblicher Maulkorberlaß. Wehe, es sagte jemand, er fände ein Opernhaus besser als die anderen; für die Literatur gilt das jetzt auch.

2. Reihen, vor allem Programmpunkte, die so aufeinander abgestimmt sind, daß sie als wechselseitige Erhellung oder als Rede und Gegenrede verstanden werden können, finden sich auch im Programm des Literaturhauses Berlin. Unser Publikum scheint dies öfter zu bemerken als die Berliner Feuilletonredaktionen. Eine Vortragsreihe über höchst aktuelle wahrnehmungsästhetische Probleme war im vorigen Winter wie zugeschnitten auf die intellektuelle taz- Leserschaft, aber die Resonanz in der Zeitung hat nicht stattgefunden.

3. Reihen haben jedoch den Nachteil, einen Teil des Publikums bis an die Grenzen seiner Aufnahmebereitschaft zu binden und andere Teile auszuschließen. Zu uns kommen Menschen, die ausschließlich an deutschsprachiger, spanischer, französischer, italienischer, englischer oder russischer Literatur interessiert sind. „Entspezialisierung“ kann ein Angebot sein, aber gewiß keine Zwangsmaßnahme.

4. Unsere selbsterarbeiteten Ausstellungen präsentieren Berliner Initiativen auch in anderen Städten Europas. Diese überregionale Wirkung ist uns wichtig. Wir sind aber auch das Haus, das seinem Publikum auswärtige Ausstellungen zeigt, die sonst in Berlin nicht zu sehen wären: unter anderem Kracauer, Benjamin, Gertrud Kolmar, Klaus und Erika Mann.

Das alles findet in Räumen statt, die eher karg, schwarzweiß, nüchtern und nach acht Jahren auch schon ein wenig angeschmuddelt sind. Damit läßt sich leben. „Erlesen restauriert“ wurden vornehmlich die Räume des Cafés Wintergarten im Literaturhaus, das nahezu ständig überfüllt ist, aber glücklicherweise kein Schickeria- Treff geworden ist.

[...] Die Berliner Literaturinstitutionen, auch jene, die nicht über „eigene“ Häuser verfügen, sollten sich in kritischer Auseinandersetzung gemeinsam gegen jede Geringschätzung der Literatur wehren. Sie werden sich darin ganz einig sein. Am Literaturetat läßt sich nicht ohne Schaden für die Literatur nichts mehr einsparen; das „rechnet sich“ nicht. Herbert Wiesner,

Literaturhaus Berlin

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