Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
„Es ist wirklich nicht leicht, diesen Film zu machen“, stöhnt der Filmemacher Peter Sempel einmal, und der Mann, dessen Porträt er gerade fertigt, antwortet: „Ich habe auch nie gesagt, dass es einfach wird.“ Der Porträtierte heißt Lemmy, ist seines Zeichens Hardrocker mit Punk-Attitüde und von Beruf Bassist, Sänger und Songschreiber der Band Motörhead. Und Sempels Problem liegt vor allem in der ausgesprochenen Einsilbigkeit, mit welcher der Musiker die Fragen des Regisseurs beantwortet, sowie im Unernst des gebürtigen Walisers, der es blendend versteht, auf freundliche Weise unfreundlich zu sein. Einen „cinemaveritémotörartpunkfilm“ nennt Sempel sein größtenteils mit Digitalkamera gedrehtes Werk „Lemmy“ (2002), in dem er Motörhead unter anderem auf Festivals und zu Plattenaufnahmen nach Bracken bei Lüneburg folgt, wo Maestro Lemmy in der einmaligen Kulisse des Bistros „Marcel“ am Automaten spielt und Auskunft gibt, warum er in Los Angeles lebt: „Da haben die Frauen größere Titten als anderswo.“ Sempels Konzept bedingt, dass er in seinem Film gnadenlos alles drin lässt, was andere Leute herausschneiden würden: die oftmals banalen Fragen ebenso wie die Missverständnisse, die durch Englischsprechen mit deutschem Akzent entstehen. Dafür fängt Sempel dann aber auch unverfälscht die Bonmots und den Lebensstil des Mannes ein, der bei all dem lauten Rock ‘n‘ Roll, der immensen Menge an verkonsumierten Drogen und den vielen großen Titten ein wacher Geist geblieben ist. Letztlich, so scheint es, ist Lemmy nämlich deutlich sensibler, als er es vor der Kamera zugeben möchte.
„A Canterbury Tale“ heißt Michael Powells und Emeric Pressburgers 1944 entstandener und im England des Zweiten Weltkriegs spielender „Propagandafilm“, der Chaucers Canterbury-Pilger gewissermaßen durch die in England stationierten amerikanischen Soldaten ersetzt. Die Story kreist vornehmlich um den mysteriösen „Glueman“, der Frauen, die in der Nähe von Canterbury mit Soldaten ausgehen, immer wieder Leim in die Haare gießt. Ein Trio junger Leute macht sich daran, ihn zu entlarven und muss schließlich feststellen, dass der „Leimmann“ ein gar nicht so unsympathischer, wenngleich etwas überheblicher Idealist ist, der mit drastischen Mitteln das Interesse der vergnügungssüchtigen Jugend auf die Geschichte und Mythologie Canterburys lenken will. Wie so oft bei Powell/Pressburger spielt in der Geschichte der Wunsch nach Völkerverständigung ebenso eine Rolle wie eine recht mystizistische Naturauffassung.
In seinem ersten Tonfilm „Blackmail“ (1929) zeigt Alfred Hitchcock, wie die neue Technik dramaturgisch gewinnbringend genutzt werden kann: Nachdem Alice (Anny Ondra) in der Nacht einen zudringlichen Mann mit einem Messer erstochen hat, sitzt sie am Morgen danach mit den Eltern beim Frühstück, als sich eine Kundin im angrenzenden Laden des Vaters über den Mord auslässt. Dabei dringt das Wort Messer immer schärfer in das Bewusstsein von Alice, während der Rest des Geredes auf der Tonspur zum unverständlichen Gemurmel verschwimmt. LARS PENNING
„Lemmy“ 2.4. im Lichtblick-Kino
A Canterbury Tale“ (OF) 30.3. im Arsenal
„Blackmail“ (OF) 29.3. im Arsenal