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Archiv-Artikel

Off-Kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet

„Das Gastmahl der Liebe“ (OmU) 14. 7. im Arsenal 1

Der 100. Geburtstag Jean Gabins war bereits im Mai, doch da die französische Filmwoche traditionell im Juli stattfindet, gibt es die kleine Hommage an den großen Mimen erst jetzt. Dabei gehört Jacques Beckers Gangsterdrama „Touchez pas au Grisbi“ (Wenn es Nacht wird in Paris, 1954) zweifellos zu Gabins bekanntesten, aber auch ungewöhnlichsten Filmen. Denn mehr als für die kriminellen Machenschaften seiner Helden interessiert sich Becker für deren Verbürgerlichung mit zunehmendem Alter. Der letzte große Coup ist nämlich eigentlich längst gelaufen, und Max (Gabin) hat definitiv ausgesorgt: ein schicker Wagen, ein luxuriöses Apartment, eine elegante Freundin. Max will nur noch seine Ruhe haben – und dass Becker den alternden Gangster alsbald im gestreiften Pyjama beim Zähneputzen zeigt, ist typisch für die detailgetreuen Milieuschilderungen des Regisseurs. Dass Max überhaupt noch einmal in Aktion treten muss, verdankt er seinem „dämlichen“ besten Freund Riton, der sich mit dem Älterwerden einfach nicht abfinden kann und nicht begreift, dass seine besten Tage bereits längst vorbei sind. Und die Auseinandersetzung mit einer jüngeren und brutaleren Generation von Ganoven kann natürlich nicht gut ausgehen …

Im Lichtblick-Kino beschäftigt man sich derweil mit den Filmen von Werner Herzog: „Woyzeck“, die Verfilmung von Georg Büchners gleichnamigem Bühnenstück, markiert eine weniger bekannte Zusammenarbeit des Regisseurs mit Klaus Kinski. „Er läuft ja wie ein offenes Rasiermesser durch die Welt“, heißt es in dem Stück über den am Rande des Wahnsinns stehenden Soldaten Franz Woyzeck, und diese Charakterisierung beschreibt trefflich den Schauspielstil des Mimen Kinski, der bekanntlich nicht nur toben konnte, sondern auch die leisen Töne beherrschte und auf diese Weise die innere Zerrissenheit der Figur perfekt verkörpert. Ruhig und konzentriert entfaltet sich das Drama um den von seinem Vorgesetzten schikanierten Soldaten, der schließlich seine Geliebte Marie (Eva Mattes) umbringt, als sie sich mit einem Tambourmajor einlässt. Die Kamera beschränkt sich weitgehend auf die Beobachtung, und die Inszenierung wirkt zurückgenommen: Der spektakulärste Moment ist Woyzecks panischer Lauf durch ein Mohnfeld, kurz bevor er sich das Messer für den Mord kauft.

„Woyzeck“ 12. 7.–14. 7. im Lichtblick

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„Touchez pas au Grisbi“ (OmU) 13. 7. im Cinema Paris, 14. 7. im Filmtheater am Friedrichshain

In seiner essayistischen Dokumentation „Das Gastmahl der Liebe“ (Comizi d’amore, 1963) befragt Pier Paolo Pasolini die Italiener zu ihrer Einstellung zur Sexualität und zu Themen wie Ehe und Scheidung. Dabei geraten ihm von Kindern über Bauern bis zur Fußballmannschaft von Bologna Menschen aller Gesellschaftsschichten vor die Kamera, deren manchmal auch unbedarfte Ansichten über Sex, Katholizismus und Homosexualität der Regisseur oft schon während seiner Interviews interpretiert und kommentiert. Dabei stößt er immer wieder interessante Diskussionen an und scheut sich nicht, anderen Leuten die Beschränktheit ihrer Ansichten vorzuhalten. LARS PENNING