Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
„Wenn sie doch nur verstehen würden, was wir versuchen, für sie zu tun.“ Mr. A.O. Neville (Kenneth Branagh), der Chief Protector of Aborigines, ist von seiner Politik, australische Mischlingskinder von ihren Familien zu trennen und sie in staatlichen Fürsorgeheimen zu „zivilisieren“, mehr als überzeugt. Und so sieht diese Zivilisation aus: Man verbietet den Ureinwohnern ihre Sprache, zwängt ihnen eine fremde Religion auf und bildet sie zu Dienstboten für die Weißen aus. Phillip Noyces „Long Walk Home“, sein Film über die „Stolen Generation“, ist ein Politikum: Die Verordnung, welche die Aborigines unter Vormundschaft des Staates stellte, war noch bis 1970 in Kraft.
Glücklicherweise hat Noyce aus der – wahren – Geschichte von Molly (Everlyn Sampi), Daisy (Tianna Sansbury) und Gracie (Laura Monaghan), die aus einem Heim im Süden Australiens fliehen, keinen dubiosen Film der guten Absicht gemacht, sondern einen nahezu poetischen „Thriller“ um drei Kinder, die gelassen und hartnäckig etwas ganz Selbstverständliches – und nahezu Unmögliches – tun: Sie gehen nach Hause, ein 2.000 Kilometer langer Fußmarsch nach Norden durch eine feindliche, aber auch wunderschöne Busch- und Wüstenlandschaft. Den Rassismus der Weißen beschreibt Noyce als institutionalisiert, aber deshalb nicht weniger harmlos: Ständig werden Verordnungen erlassen, Briefe geschrieben und Telegramme verschickt, Polizisten wedeln mit Dekreten herum. Im Mittelpunkt der Geschichte aber stehen immer die Mädchen und ihre faszinierende Leistung: würdevolle Menschen in einer majestätischen Landschaft.
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Ein Science-Fiction-Film, der in einer Zeit der Fortschritts- und Technologiegläubigkeit leichte Zweifel anmeldete: Jack Arnolds „The Incredible Shrinking Man“ (1957) beginnt für seinen Protagonisten mit der Fahrt durch eine radioaktive Wolke, die bei ihm einen steten Schrumpfungsprozess auslöst. Nicht nur, dass Scott Careys (Grant Williams) Ehe und alle seine sozialen Kontakte zerbrechen, allmählich wird auch das Alltägliche zum Bedrohlichen: Dem Winzling erscheint die Hauskatze plötzlich als reißende Bestie, und eine kleine Spinne im Keller wird zur tödlichen Bedrohung. Die Tricks und die Dekorationen des Filmklassikers sind ebenso beeindruckend wie die schauspielerische Leistung von Grant Williams, der seinen Part größtenteils ohne reale Partner spielen musste. Für Scott Carey hält der Film keinerlei Erlösung bereit: Er schrumpft immer weiter und verabschiedet sich mit einem philosophischen Schlussmonolog in den Kosmos.
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Ursprünglich wollte Billy Wilder „Sunset Boulevard“ mit einem Dialog von Verblichenen in einem Leichenschauhaus beginnen lassen, doch bei den Previews fanden die Zuschauer das lediglich ziemlich komisch. Nun also erzählt William Holden seine traurige Geschichte als Leiche im Pool treibend, derweil Stummfilmstar Norma Desmond (Gloria Swanson) ihr vom Wahnsinn beseeltes Comeback erlebt … LARS PENNING